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Michael, der Finne

Michael, der Finne

Titel: Michael, der Finne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mika Waltari
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kannte. Nein, vor mir stand ein untersetzter, kräftig gebauter Mann auf der Höhe seines Lebens, mit gut gemeißeltem Kinn und rosigen Wangen.
    »Ihr armer Junge!« sagte er. »Kennt Ihr die teuflische Falle, in die Ihr geraten seid? Ihr habt ein reines, unschuldiges Gesicht und seid nicht schuld an Eurem Irrtum; der ist vielmehr dem höllischen Wind zuzuschreiben, der jetzt über Deutschland weht.«
    Er erblickte Müntzers Brief auf dem Tisch, hob ihn auf und las einige Zeilen. Dann zerriß er ihn, am ganzen Leibe vor Wut zitternd, in tausend Stücke und trat mit dem Fuß darauf.
    Seine furchtbaren schwarzen Augen spießten mich förmlich an die Wand, als er sprach: »Das Böse hat sich nun in seiner wahren Gestalt gezeigt, und niemand braucht auf Gnade zu hoffen. Der Tag des Zornes ist gekommen, denn die Bauern wollten nicht auf mich hören und machen auch weiterhin vom heiligen Evangelium ihren eigenen, schmählichen Gebrauch. Ein Christ muß Gewalt und Unrecht leiden und darf sich nicht rächen wollen, indem er Gottes Wort verdreht. Er muß vielmehr die andere Wange hinhalten, damit er für sein langes Leiden den Lohn des Himmels empfange. Habe ich euch nicht gewarnt, ihr halsstarrigen Schurken, ihr Aufwiegler und Räuber? Habe ich nicht gesagt, ich muß euch als Feinde betrachten, weil ihr mein Evangelium abscheulicher bekämpfen und entstellen wollt, als der Papst oder der Kaiser es jemals taten? Ich will kein Mitleid haben; ich sage, was ich denke – ich habe es aufgeschrieben, damit man es in ganz Deutschland wisse. Hört zu, junger Mann, hört zu, und bringt Eurem Meister diese Botschaft als Antwort von Seiner Gnaden!«
    Er setzte sich an des Herzogs Schreibtisch, schlug den Talar über die Knie und begann mit lauter Stimme seine Flugschrift vorzulesen, in der er die mordenden und plündernden Bauern verdammte. Er hatte sie so hastig hingeworfen, daß er seine eigene Handschrift nicht immer lesen konnte; so saß er, über das Papier gebeugt, unterbrach sich bisweilen, murmelte eine Korrektur vor sich hin, strich hier eine Zeile aus und fügte dort eine ein, oder er setzte, gleich einem geübten Korrekturleser, ein Kreuz an den Rand und darunter den Zusatz. Diese fortwährenden Unterbrechungen erschwerten es mir, ihm zu folgen, allein über den Inhalt konnte ich nicht im ungewissen bleiben. Da die Bauern gegen ihre rechtmäßigen, von Gott eingesetzten Herren aufgestanden seien, Burgen und Klöster geplündert und sich dann hinter dem Mäntelchen des Evangeliums verborgen hätten, indem sie einander Brüder in Christo nennten, verdienten sie dreifach den Tod des Leibes wie der Seele. Die Zeit der Gnade sei um, der Tag des Zornes und des Schwertes angebrochen.
    Den Hauptpunkt las er zweimal, um ihn meinem Gedächtnis unauslöschlich einzuprägen; zuerst langsam, die Feder in der Hand, als wolle er den Ton noch ändern; dann aber rasch, rauh und mit Wohlbehagen:
    »Darum soll hier zerschmeißen, würgen und stechen, heimlich oder öffentlich, wer da kann, und gedenken, daß nichts Giftigeres, Schändlicheres, Teuflischeres sein kann denn ein aufrührerischer Mensch. Gleich wie man einen tollen Hund totschlagen muß: schlägst du nicht, so schlägt er dich und ein ganzes Land mit dir.«
    Der rachsüchtige Ton schmerzte mich so, daß ich am liebsten gestorben wäre. In jener Stunde sah ich keine brennenden Burgen, keine geplünderten Klöster, keine nackten Leichen; ich dachte nur an die schlichten, frommen Männer, die sich ihr Leben lang abgemüht hatten, ohne auch nur ein paar armselige Gulden ersparen zu können, und die nun in ihrem kindlichen Glauben an das Wort Gottes meinten, Sein Reich werde kommen, und zwar mit ihrer Hilfe.
    Meine Angst vergessend, warf ich mich dem Doktor zu Füßen, faßte seinen Talar und flehte unter Tränen: »Gelehrter Doktor Luther, ich bin nur ein armer Sünder, aber glaubt mir, diese Leute sind nicht alle tolle Hunde. Die meisten von ihnen sind schlichte, gottesfürchtige Männer, die Gottes Gerechtigkeit auf Erden verwirklicht sehen wollen. Sie glaubten an Euch und vertrauten Euch, als wäret Ihr Gott selbst gewesen. Ihr schenkt ihnen die Bibel in ihrer Muttersprache, und Ihr könnt sie nun, da die Fürsten gegen sie zum Kriege rüsten, nicht im Stich lassen. Versuchet wenigstens zu vermitteln – versucht wenigstens, ihnen zu vergeben, wenn Ihr schon nicht mit ihnen gemeinsam eine neue, dauernde Ordnung in Deutschland errichten wollt; denn nicht einmal Fürsten können

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