Michael, der Finne
Eurer Kraft und Eurem Geist widerstehen!«
Er aber verschmähte meine Hand und zog die Schöße seines Talars an sich, als wäre ich einer von den tollen Hunden gewesen, von denen er schrieb, und antwortete aufgebracht: »Ich bin weder Euch noch irgend jemandem auf dieser Welt Rechenschaft schuldig; nur dem Allmächtigen und meinem Gewissen. Ich will nicht zulassen, daß ein tollwütiger Pöbel mein Evangelium in Trümmer schlägt. Ich will sie mit Zähnen und Klauen bis zum Ende bekämpfen, wie ich Papst und Kaiser bekämpft habe.«
Ich erkannte, daß Doktor Luther in seinen eigenen Augen schon so erhaben dastand, daß er Nebenbuhler weder in der Gelehrsamkeit noch in der Lehre ertragen konnte und jeden, der an seine Glaubensartikel rührte, als Schwindler und Falschmünzer ansah. Er sagte sich von den Bauern los, weil sie seine Lehre so weit ausgelegt hatten, daß sie sich schließlich entstellten.
Von bitterer Verzweiflung erfüllt, erhob ich mich, blickte ihm kühn ins Gesicht und sagte: »Ich bin ein noch junger Mann und im Vergleich mit Euch ungebildet. Meine Meinung wird auf der Waage der Zeit, darauf Eure Worte und Taten gewogen werden, weniger wiegen als ein Staubkorn. Dennoch tut Euer Gerede von › meinem Evangelium‹ meinen Ohren weh, denn es ist bei Gott nicht Euer Evangelium allein, sondern das Evangelium aller Armen. Und dies, so glaubte ich stets, liege Eurer Lehre zugrunde. Das klare Wort Gottes spricht gegen Euch, und Ihr selbst seid der letzte, der die andere Wange darbieten würde! Überdies verstecktet Ihr Euch lange Zeit vor dem Zorn des Kaisers, während ganz Deutschland nach Euch rief, und nun wollt Ihr, scheint’s, wieder auskneifen und Euch diesmal hinter die Fürsten stecken, um ihnen zu schmeicheln!«
Es kam mir freilich nicht zu, zu einem großen Mann so zu sprechen, und er tat recht daran, mir eine heftige Ohrfeige zu versetzen.
In meinem Haß aber spürte ich sie kaum, und mit Tränen der Wut und der Schmach in den Augen fuhr ich fort: »Schlagt mich, wenn Ihr wollt! Die Tinte an Euren Fingern ist das Blut der Unschuldigen, und es trieft von jedem Buchstaben Eurer Flugschrift. Warum solltet Ihr nicht der Fürsten Gunst erwerben, Doktor Luther, und sie zu Bischöfen ihrer eigenen Länder machen, wie Ihr versprochen habt? Sie können Euer Evangelium besser auslegen als unwissende Bauern. Ihr müßt ja gewinnen, wenn Ihr den Adel mit den Ländereien der Kirche bestecht; und dann könnt Ihr um Euer Evangelium festere und höhere Mauern errichten, so daß es nicht mehr das freie Feuer Gottes und eine Gefahr ist, sondern in den Bastionen Eures Willens hübsch eingeschlossen ist. Wie werdet Ihr Euch freuen, wenn Euer Brief laut in allen Kirchen Deutschlands verlesen wird und wenn die katholischen Fürsten – die Euch bisher mehr verabscheuten als den Teufel selbst – Euren Befehl befolgen, indem sie ihre Leibeigenen abschlachten! Vor Gottes Angesicht aber wird Eure unsterbliche Seele wahrlich übel dastehen!«
Doktor Luther sah mich durchdringend an, als wolle er mir auf den Grund meiner Seele sehen, und begann zu sich selbst zu sprechen.
»Es mag wahr sein. Mag sein, daß ich freier und glücklicher in meinem Glauben war, als ich allein dem Scheiterhaufen und dem Kaiser trotzte, als heute, wo mich Satans Listen und Ränke von allen Seiten einengen. Aber kannst du, du bleicher, zorniger Jüngling, die Stimme des Gewissens sein? Nein, nein – du bist nur das jüngste Trugbild des Teufels, das mein klares Denken trüben soll. Fort mit dir, Versucher, zurück in des Teufels Arschloch, dem du entkrochen bist!«
Seine düsteren Augen ruhten auf mir; sein Kinn schien wie aus Erz gegossen. Ich war nicht der Mann dafür, seine Überzeugung auch nur um Haaresbreite ins Wanken zu bringen. Beschämt und kleinmütig schritt ich rückwärts zur Tür und ließ ihn mit seiner Einsamkeit allein.
2
Der weißhaarige Kämmerer hatte an der Tür gelauscht und war keineswegs verlegen, als ich ihn auf frischer Tat ertappte.
»Mein Gehör ist nicht mehr so gut wie früher, lieber junger Herr«, bemerkte er, »und es ist auch keine Sünde, wenn ich lausche, denn einer, der gute Ohren hat, kann den Doktor durch viele Mauern und Türen hindurch hören, wenn er aufgebracht ist. Aber Ihr seid ein tapferer junger Mann, Meister Pelzfuß, daß Ihr ihm nichts schuldig bliebet, und selbst der Herzog wird sich ins Fäustchen lachen, wenn er davon hört. Die Zeiten sind nun freilich nicht zum Lachen, und ich
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