Michael, der Finne
ist es an der Zeit, den letzten Schleier zu lüften, auf daß ihr diese Gerechtigkeit auf das herrlichste und glorreichste in drei Worten geoffenbart sehet: Omnia sunt communiai«
Er richtete sich zu seiner vollen Größe auf, streckte die Arme gegen den Himmel und schrie, so laut er konnte: »Omnia sunt communia, alles gehört allen! Das, der Wille Gottes, wird verkündet durch meinen Mund, und in diesen drei Worten ist all seine Gerechtigkeit beschlossen. Ländereien, Äcker, Weiden, Wälder, Vögel, Wild und Fische – alles gehört uns gemeinsam. Vieh, Häuser, Schlösser, Kornladen, Pflüge, Werkzeuge – jeder von uns besitzt alles und keiner etwas. Es gibt weder reich noch arm, weder hoch noch niedrig, und niemand hat mehr als sein Nächster, denn alles ist Gemeingut.«
Die Bauern starrten ihn aus weitaufgerissenen Augen an, und auch ich stand wie vom Blitz getroffen, denn ich erkannte, daß er in der Tat das Reich Gottes verkündete und die Gemüter gewöhnlicher Sterblicher eine solche Botschaft ablehnen würden. Keiner wagte ein Wort zu sprechen.
Er senkte die Hände, und seine Macht zwang sechstausend Menschen betend in die Knie. Nur der ungefüge Andy blieb auf einen Pulverfäßchen sitzen und kaute an einem Stück Pferdefleisch.
Sechstausend Männer knieten, erfüllt von einem brennenden Glauben an Gott und seinen Boten, und Müntzer betete laut: »Mein Gott, mein Gott, der du dich mir geoffenbart hast, sende uns ein Zeichen vom Himmel, um die Ungläubigen zu beschämen. Gib uns ein Zeichen, auf daß wir glauben und die Wut der Gottlosen nicht länger fürchten.«
Wie viele, so hob auch ich unwillkürlich den Blick. Über dem Lager des Herzogs hingen dunkle Wolken, unseres aber lag in grellem Sonnenschein. Im Westen blitzte es auf; dann ein Knall, und sogleich schwirrte eine Kanonenkugel wie ein Vogel mit sausenden Schwingen über unsere Köpfe hinweg. Die Menge schauderte zusammen, aber die Kugel flog vorbei, ohne Schaden anzurichten.
Andy spuckte aus, nahm seine Mütze ab und kratzte sich den Kopf, bis sein Haar wie eine gelbe Bürste emporstand.
Er sah mich unverwandt an und meinte: »Heilige Maria! Soll ich glauben, daß dieser Mann die Wahrheit spricht? Wie sollen wir alles gemeinsam besitzen? Wir würden alle einer des anderen Kuh melken – und verdammt will ich sein, wenn ich mein sauerverdientes Geld mit aller Welt teile. Es würde nicht für alle reichen, und ich ginge selbst leer aus.«
Ich sagte, alles würde sich zu seiner Zeit aufklären, und statt uns darüber den Kopf zu zerbrechen, sollten wir lieber frohlocken, daß die feindlichen Kanonenkugeln abgelenkt würden. Das aber wollte Andy nicht glauben.
»Quatsch!« meinte er. »Du solltest schon wissen, was Einschießen heißt. Die Kanoniere schicken den ersten Schuß übers Ziel hinaus und den zweiten vor das Ziel; dann richten sie alle Rohre auf einen Punkt, der dazwischen liegt, feuern eine Salve ab und erzielen einen Treffer.«
Wir brauchten nicht lange zu warten. Mehrmals nacheinander blitzte es im Westen auf, und acht Kugeln landeten pfeifend in unserer Mitte. Herzzerreißende Schreie mischten sich mit dem Krachen zertrümmerter Wagen. Deichseln, Räder, Gliedmaßen, Köpfe und Eingeweide wirbelten durch die Luft. Viele, die unversehrt geblieben, jedoch vom Blute anderer getränkt waren, hielten sich für getroffen und schalten Müntzer laut einen Lügner. Die dichtgedrängte Menge schwankte hierhin und dorthin, suchte verzweifelt Schutz, und die Männer warfen sich haufenweise in die nächsten Mulden. Auch im Osten blitzte es nun auf, mitten im dichtesten Haufen schlugen zwei Kugeln ein, und andere pfiffen über unsere Köpfe hinweg.
»Um Gottes willen, Andy, schieß!« brüllte ich. Er lächelte ein wenig, doch mir zuliebe und um den Kanonieren Mut zu machen, hielt er eine Lunte an das Zündloch. Die Kanone brüllte los, Rauch stieg auf, aber zu meinem bitteren Schmerz sah ich die Kugel weit vor den herzoglichen Truppen aufschlagen und noch einige Male aufprallen.
Andy hieß die Kanoniere sogleich aufs neue laden, wandte sich zu mir und sagte: »So weit tragen unsere Kanonen, und der Feind kann uns nach Belieben in Stücke schießen, bevor er unsere Stellung stürmt. Während wir warten, können wir ebensogut ein paar Gräben zu unserem Schutz ausheben. Wenn aber Reiter und Fußvolk in geschlossener Ordnung angreifen, werde ich fünf machtvolle Worte mit ihnen zu reden haben – oder auch zehn, wenn wir schnell
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