Michael, der Finne
brachten eine weitere Nacht in der Bäckerei zu; aber nun, da ich durch die Gunst des Markgrafen außer Gefahr war, überfiel mich eine große Übelkeit. Meine schönen Kleider und mein sammetweicher Bart freuten mich nicht mehr; zitternd kauerte ich in einer Ecke. Düstere Gedanken raubten mir den Appetit, und Andy fürchtete schon, ich hätte aus Versehen Wasser getrunken.
Ich krankte aber wohl mehr an der Seele als am Leib, obwohl der großmütige Andy einen Fuhrmann mieten mußte, der mich im Schutze der markgräflichen Truppen nach Mühlhausen brachte; ich hätte wohl auch kaum so weit gehen können. An die folgenden Tage erinnere ich mich nur verworren, obgleich ich weiß, daß Kurfürst Johann sich nach langem Zögern den anderen Fürsten vor Mühlhausen anschloß und ihre vereinten Streitkräfte dadurch so gewaltig anwuchsen, daß der Prahlhans Pfeiffer keinen Augenblick an Widerstand dachte. Er entschlüpfte eines Nachts aus Mühlhausen, zusammen mit zweihundert anderen Schelmen, wurde aber gefangen und in Ketten zurückgebracht.
Um der gänzlichen Zerstörung zu entgehen, mußte die Stadt sich verpflichten, den Fürsten binnen fünf Jahren vierzigtausend Gulden zu bezahlen. Mauern und Türme mußten sie schleifen, alle Geschütze, Gold- und Silbersachen sowie Vorräte, Pferde und andere Zugtiere sofort ausliefern. Erst dann ließen sich die Fürsten herbei, in die Stadt einzuziehen.
Andy und ich schritten unauffällig im Zuge mit und begaben uns dann zum Haus Eimers, des Brauers. Dieser wackere Bürger hatte eben die blanke Weidenrute der Unterwerfung abgeschüttelt und wusch sich den Schmutz von den Beinen, nachdem er im Verein mit seinen Mitbürgern vor den Siegern im Staub gekrochen war. Weder er noch Madame Geneviève erkannten Andy, der Haare und Augenbrauen verloren und sich das ganze Gesicht verbrannt hatte. Daher verfluchte Meister Eimer uns und meinte, in seinem Hause gäbe es nichts mehr zu stehlen, seit Pfeiffers Lumpenbande alles, was sie tragen konnte, christlich untereinander aufgeteilt habe. Dann aber gingen Madame Geneviève die Augen auf, und sie bemühte sich eilig um Andy – bis sie mich erblickte. Sie blickte mir lang ins Gesicht und auf meine neuen Kleider, fiel mir dann um den Hals und küßte mich hingerissen. Ihre unerwartete Zärtlichkeit überwältigte mich; froh drückte ich den Kopf an ihren weißen, wohlriechenden Hals und vergoß bittere Tränen. Sie sprach mir linden Trost zu und meinte, sie hätte nie gedacht, wie rank und anmutig ich in schönen Kleidern und mit einem Bart aussehen könne.
Der Brauer schien über unsere Ankunft und den Willkomm, den Madame Geneviève mir entbot, nicht sonderlich erbaut. Sie hatte aber viel Einfluß auf ihn, und als ich ihm des Kurfürsten Geleitbrief gezeigt hatte, erkannte Meister Eimer sogleich, daß wir ihm nützlich sein konnten. Er war ein großer, dunkeläugiger Mann von fünfzig Jahren, mit wenigen grauen Fäden in Haar und Bart. Auch seine Augenbrauen waren schwarz und buschig; über sein rotes Gesicht liefen blaue Äderchen. Als er überzeugt war, daß er uns trauen durfte, nahm er uns in den oberen Stock mit. Der bot nun freilich einen ganz anderen Anblick als das Erdgeschoß, das er selbst ausgeräumt und verwüstet hatte, um alle Eindringlinge zu überzeugen, daß es hier nichts mehr zu stehlen gebe. Er setzte uns starkes Bier und gute Speisen vor und ließ uns in einem Federbett schlafen. Ich habe von ihm viel zu berichten, denn er war kein Tropf; zuvor aber muß ich noch von Müntzers Tod erzählen.
Während ihres Aufenthaltes zu Mühlhausen sprachen die Fürsten Recht, und die Bewohner sagten eifrig einer gegen den anderen aus, um jedem Verdacht zu entgehen. So mußten sich am Tag der Hinrichtung vierundfünfzig Bürger entweder die Schlinge um den Hals legen lassen oder am Block knien, je nach Rang und Stand. Der Markgraf von Mansfeld brachte Müntzer nach Mühlhausen – oder besser, das, was von Müntzer nach seiner Disputation mit einem geschickten Folterknecht übriggeblieben war. Thomas Müntzer war nun ein hinkendes, zerrüttetes Wrack; selbst seine Stimme klang schwach und gebrochen, als er seine Beichte ablegte.
Er gestand, daß alle seine Lehren falsch gewesen seien und er nunmehr seine Seele der Kirche empfehle, die sie allein retten könne. Der fromme Herzog Georg ward über Müntzers vollkommene Reue zu Tränen gerührt und gab seiner Freude Ausdruck, daß der bekehrte Ketzer dankbar das Sakrament empfangen
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