Michael, der Finne
wie wir und können nichts für ihr düsteres Wesen. Wir wollen sie mit Wein füllen und sehen, ob sie lächeln können.«
Das taten wir denn auch. Aber das Gerücht, es gebe hier einen Freitrunk, verbreitete sich blitzschnell durch die ganze Stadt, und bald war das Gemach so überfüllt, daß wir kaum die Ellbogen heben konnten und der Wirt die Tür verriegeln mußte. Ein kleiner Mann aber kletterte über die Mauer in den Hof und gesellte sich zu uns. Er hatte Fledermausohren und lebhafte Augen und sprach nicht übel deutsch, ja sogar lateinisch; daher hießen wir ihn als einen Christen willkommen. Als das Gelage vorüber war, trugen wir ihn auf die Kammer, die uns der Wirt zur Verfügung gestellt hatte, und legten ihn zwischen uns ins Bett. Er konnte nicht viel Wein vertragen.
Wir hatten Glück gehabt, denn dieser kleine Bursche sollte uns noch große Dienste leisten. Als wir am nächsten Morgen erwachten, tranken wir nur sehr mäßig Wein, um klaren Kopf zu bekommen. Inzwischen erzählte er uns, er sei Sieur de Lannoys Barbier und habe seinen Herrn von Toledo nach Madrid begleitet. Neben diesem Beruf übte er auch noch den eines Kupplers aus und empfahl uns bereitwillig die besten Bordelle Madrids. Doch erschöpft, wie wir waren, und angesichts meiner heilsamen Angst vor den französischen Blattern waren wir nicht geneigt, seine Dienste in Anspruch zu nehmen. Ich erkannte jedoch, daß er es gut mit uns meinte, und fragte ihn daher, wie ein armer Mann eine Audienz beim Kaiser erlangen könne. Wir seien Pilger aus einem fernen Land, und nachdem ich nun einen spanischen Offizier bis Madrid begleitet hätte, brenne ich darauf, dem größten Herrscher der Welt gegenüberzutreten, damit ich noch meinen Kindern davon erzählen könnte, wenn mir je welche beschieden würden.
Der wackere Barbier maß mich eingehend und forschend und erwiderte: »Unser junger Herrscher hat sich mit einem Wall von Hunderten – oder gar Tausenden – umgeben müssen, um jene fernzuhalten, die eine Audienz bei ihm anstreben. Ständig belagern ihn Bittsteller aus aller Herren Länder – Erfinder, Mathematiker, Philosophen –, die einander an Torheit ihrer Pläne übertreffen. Ein Ziel aber haben sie alle gemeinsam: etwas vom Kaiser zu bekommen. Ferner dürft Ihr nicht vergessen, daß er an Kaufleute und Fürsten der ganzen Christenheit verschuldet ist. Es kann nur wenige geben, denen er nichts schuldet, keinen Augenblick des Tages ist er vor Bittstellern sicher. Ich verstehe gut, daß der Kaiser trotz seiner Jugend die Menschen satt hat und die Einsamkeit liebt.
Eben jetzt«, fuhr er fort, »ist es schwerer als je, zu ihm vorzudringen, weil französische, englische, venezianische und päpstliche Abgesandte ihn wie schwarze Katzen umschleichen, ihm nachspionieren und ihre verschiedenen Ränke spinnen. Frankreich hat für seinen König ein Lösegeld von drei Millionen Golddukaten geboten, wenn er das Herzogtum Burgund behalten darf, das der Kaiser begehrt. Der Kaiser und der Herzog von Bourbon aber bestehen auf der Übergabe der Herzogtums, während der gute Sieur de Lannoy lieber das Lösegeld annehmen und den König zum Freund und Verbündeten gewinnen möchte. Und an König Franz hat der Kaiser einen Gefangenen, der ebenso hartnäckig ist wie er selber. Ist es also ein Wunder, das Seine Kaiserliche Majestät Ruhe und Muße sucht, um diese schwerwiegenden Fragen zu überlegen?«
Des Barbiers Bemerkungen gaben mir viel zu denken und zeigten mir, daß unser Vorhaben noch schwieriger war, als ich gedacht hatte, denn geriet ich an den Falschen, so würde der alles tun, unsere Audienz zu hintertreiben. Die Papiere in meinem Besitz zeigten klar, daß der Kaiser am besten tat, einen maßvollen Frieden zu schließen, König Franz freizulassen und ihn so zum Freunde zu gewinnen. Sonst würde Frankreich sich dem italienischen Bündnis anschließen, um ihn zu befreien.
»Doch nehmt an«, meinte ich, »es könnte jemand den klaren Beweis erbringen, daß ein rascher Friede mit Frankreich dem Kaiser am meisten dient und daß er sich und sein Reich vernichtet, wenn er die Verhandlungen hinzieht? Meint Ihr, daß ein solcher von ihm in Audienz empfangen würde? Und wenn ja, an wen sollte der sich wenden?«
Der Barbier straffte sich und sah mich an mit Augen, die so ausdruckslos wie hartgesottene Eier waren.
»Seid Ihr betrunken?« rief er. »Ein solcher Mann sollte sein Geheimnis natürlich den französischen Abgesandten verkaufen. Vor allem aber
Weitere Kostenlose Bücher