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Michael, der Finne

Michael, der Finne

Titel: Michael, der Finne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mika Waltari
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heute …! Es ist Abend geworden. Das Schnarchen Eures Dieners stört mich; wir wollen unser Gespräch in meinem Gemach fortsetzen.«
    Andys mächtiges Schnarchen störte auch mich, und ich folgte ihr. Beim Duft ihrer Salben und Wohlgerüche wurden schmerzliche Jugenderinnerungen wach. Ich hatte zwar den Entschluß gefaßt, mich nie wieder einer Frau zu nähern, doch wurde ich daran schneller zum Verräter, als man ein Ave hersagen kann. Das einzige, was ich zu meiner Verteidigung vorbringen kann, ist, daß sie ausnehmend zugänglich war und mich vieles verstehen lehrte, was mir an den oft absonderlichen Wünschen der Frauen rätselhaft gewesen war.
    Trotz ihres Flehens blieb ich jedoch nicht die Nacht über bei ihr; wußte ich doch, wie wenig ihr zu trauen war. Ich raffte Kleider, Gürtel und Börse zusammen und kehrte auf meine Stube zurück, wobei ich die Tür sorgfältig hinter mir versperrte. Andy lag und schnarchte so kräftig wie je; ich aber konnte keinen Schlaf finden, so müde ich auch war. Wach und angespannt lag ich auf meinem Bett.
    Allmählich verrauchte der Weindunst. Durch die offenen Fensterläden drang der Duft feuchten Grases aus dem Kräutergarten der Taverne, und das fahle Dämmerlicht des Morgens stahl sich in die Stube. Mir war, als stünde ich mit einem Fuß an der Schwelle des Todes und blickte auf vergeudete Tage zurück. All jene Pläne, im Dienste Admiral Severins weltliche Erfolge und Ehren einzuheimsen, erschienen nun als leere und trügerische Hirngespinste. Dachte ich an das politische Ränkespiel, so sah ich nichts als den grauen Himmel, die grauen Schneeflocken und den Dampf, der vom warmen Blut auf dem Marktplatz von Stockholm aufstieg. Dachte ich an mein Heimatland, so sah ich Schwärme glänzend schwarzer Krähen schwirren und Mutter Pirjo, die Arme schützend gegen den sausenden Steinhagel erhoben. Für mich gab es kein Zurück, und dieser Gedanke erfüllte mich mit namenlosem Leid. In mir wohnte weder Bitterkeit noch Haß, nur die Überzeugung, daß der Mensch der schlimmste Feind des Menschen ist.
    Dann fiel mir die heilige Kirche ein, und ich erkannte im kalten Licht meiner eigenen inneren Leere, daß ich nur aus krankhaftem, selbstsüchtigem Ehrgeiz nach der Priesterwürde getrachtet hatte. Ich hatte diese heilige Berufung nie mit den Augen eines zukünftigen Dieners der Armen angesehen. Mir hatte sie sieben, zehn, vielleicht gar zwanzig Silbermark jährlich bedeutet, wovon ich nach eigenem Belieben leben und studieren, höhere Grade erwerben und dadurch emporkommen könnte. Überdies machte mir mein Studium keine Freude, da ich alles, was man mich lehrte, unterwürfig hinnahm und nie wagte, eine eigene Frage zu stellen, aus Angst, die Kirche anzugreifen – dazumal das Los eines jeden, der die menschlichem Wissen gesetzten kanonischen Grenzen übertrat.
    In der fahlen Morgendämmerung überfiel mich nach jener Nacht der Anspannung und verzehrenden Leides eine leibliche Müdigkeit und in ihrem Gefolge ein seltsamer, schmerzlicher Rausch. Die Mauern, die mich umgaben, stürzten ein, und plötzlich wußte ich, daß Gott und Satan in meinem Herzen wohnten und darin unermeßliche Kräfte zum Guten wie zum Bösen schlummerten. Außerhalb meines eigenen Herzens jedoch gab es weder Gott noch Satan, sondern nur eine verrückte, sinnlose Welt, deren Bewohner einander in einem abscheulichen, aus Begierde und Todesangst geborenen Ringen bekämpften. Gott und Satan waren in uns verborgen und hatten außerhalb unseres innersten Herzens keine Macht; dort aber offenbaren sie sich. Alles andere war Brauch, Sitte, Übereinkommen; ein Gebäude, das der Mensch in Wollust und Angst aufgeführt hatte. Der Sohn Gottes war Mensch geworden, und wenn er die Sünden der Welt mit seinem Blut gesühnt hatte, welches Recht hatte dann die Kirche, sein Fleisch und Blut für Gold zu verschachern? Wo immer zwei oder drei versammelt waren, um Gott in ihren eigenen Herzen zu suchen, da konnten sie ja das Brot brechen und den Wein segnen, die unter ihren Händen so gewiß in das Fleisch und Blut Christi verwandelt wurden wie in den Händen eines geweihten Priesters.
    So wurde ich mir plötzlich aller ketzerischen Gedanken bewußt, die in meinem Inneren so lange in der Stille herangereift waren. Doch war ich ungeachtet meiner Verzückung darüber entsetzt, denn diese Gedanken waren eine zu starke Kost für mein altes Ich, das sich so lange von jedem Windstoß hatte treiben lassen.
    Als ich aber am Morgen

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