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Michael, der Finne

Michael, der Finne

Titel: Michael, der Finne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mika Waltari
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schmuggeln, ohne Verdacht zu erwecken; eine solche Verkleidung könnte überdies die Sturmgeister täuschen, so daß sie uns eine glückliche Reise gewähren. Ich werde sie nach dem Abendgottesdienst vor der Liebfrauenkirche erwarten.«
    Madame Agnes jedoch war gar nicht erbaut, als sie von der bevorstehenden Reise hörte. Sie weinte und rang die Hände, zieh mich der Treulosigkeit und meinte, sie habe auf mein Versprechen gebaut, sie nach Venedig mitzunehmen.
    »Liebe Madame Agnes«, entgegnete ich, »Ihr habt mich ganz und gar mißverstanden. Ich versprach nur, Euch aus Eurer schwierigen Lage zu retten und Euch zu helfen, Euren wohlverdienten Lohn vom Admiral einzuheimsen. Der ist übrigens ein hübscher Bursche, dem keine Frau widerstehen kann. Er ist eben daran, zu Visby die ganze Beute zu sichten, die er auf den aufgebrachten Schiffen gemacht hat, und dort werdet Ihr, wie mich dünkt, wenige Nebenbuhlerinnen haben.«
    Wir stritten noch eine Weile, dann seufzte sie und sagte: »Es scheint also, daß ich die Reise nach Venedig wegen Eures kalten, harten Herzens aufgeben muß, Michael. Ohne Zweifel steht mir dies Schicksal in den Sternen geschrieben, obwohl ich nie gedacht hätte, daß ich jemals gezwungen würde, Schleier und Habit einer Nonne zu tragen.«
    Ich wünschte ihr Glück für die Reise; sie umarmte mich und versuchte dabei, mit einem kleinen Messer die Schnüre zu durchschneiden, mit denen meine Börse an meinem Gürtel befestigt war. Doch ich hielt die Geldkatze mit der freien Hand fest, während ich sie küßte, und ihre Augen füllten sich mit Tränen ungeheuchelter Enttäuschung. Sie drückte die Hoffnung aus, daß ich auf meinem Weg ins Heilige Land den Türken in die Hände fallen möge, und so schieden wir.
    Nachdem sie gegangen war, sagte ich zu Andy: »Wir haben unsere Aufgabe wie ehrenhafte Männer erfüllt, und es steht uns nun frei, nach Belieben zu kommen und zu gehen. Wir wollen nach dem Süden reisen, in fremde Länder unter anderen Sternen. Wir wollen unsere schmerzlichen Erinnerungen zurücklassen und von Venedig ins Heilige Land fahren, um dort Vergebung unserer Sünden zu erlangen.«
    Andy fragte, ob es nach dem Heiligen Land weit sei; er glaubte nicht, daß seine Sünden schon so groß seien. Dennoch wollte er möglichst viele Meilen zu Wasser wie zu Land zwischen sich und die Witwe Zu den Drei Kronen legen. Ich zog meine schönen Kleider und damit meinen alten Adam aus und legte dafür den grauen Pilgermantel an; die Lenden gürtete ich mit einem groben Strick. Ich verkaufte alles überflüssige Gepäck und behielt nur meine Arzneitruhe, die Andy den ganzen Weg bis ins Heilige Land tragen konnte, wie er mir versicherte. Als wir die Stadttore hinter uns hatten, schnitt ich mir einen Eschenstab. Die Masten, die grauen Wälle und schlanken Türme Lübecks versanken hinter uns, als wir uns gen Süden wandten. Das Korn stand hoch und reifte der Ernte entgegen; heiteres Wetter begleitete uns auf der ganzen Reise. Sommer und Vogelsang folgten uns; der Herbst blieb im dämmernden Norden zurück.
    Die Strauchritter der Landstraße behelligten uns nicht, da sie mich im Pilgerkleid sahen und für arm hielten und Andys breite Schultern und derber Stock ihnen heilsamen Respekt einflößten. So wanderten wir sechzig Tage, nicht zu hastig, doch auch nicht zu gemächlich. Endlich ragten vor unseren Augen über grünen Weingärten die Alpen gleich schimmernden blauen Wolken zum Himmel empor.
    Der Anblick stimmte Andy bedenklich; er riß die Augen auf und meinte: »Das nenn’ ich mir einen guten, starken Zaun! Ob wir ihn wohl erklimmen können, ohne uns die Hosen zu zerreißen?«
    Und in der Tat, ich zerriß sie mir, bevor wir noch an den Fuß jener Bergketten gelangten.
4
    Wir verbrachten die Nacht in einer ummauerten Stadt. In der Schankstube des Wirtshauses saß ein reizbarer Mann, der das Kreuz der Johanniter auf dem Mantel trug. Beim Anblick meines Pilgerhabits wollte er wissen, wohin ich zöge; als er von meinem Ziel gehört hatte, erklärte er entschieden, meine Wallfahrt sei ein vergebliches Beginnen.
    »Wißt Ihr nicht, Freund«, sagte er, »daß die Türken die Festung Rhodos belagern? Sollte dieses Bollwerk der Christenheit fallen, so können die Galeeren unseres Ordens die Pilgerschiffe nicht länger schützen. Sie werden erbeutet und die Pilger in eine grausame Sklaverei geschickt werden. Daher wagt heute kein Schiff von Venedig nach dem Heiligen Lande auszulaufen, das wir nun zum

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