Michelle Obama – Ein amerikanischer Traum
kehrte er in die USA zurück und wurde Assistenztrainer für die Hochschulmannschaft des Illinois Institute of Technology. In den Folgejahren probierte er seine Talente auf verschiedenen Gebieten aus. Er studierte Finanzwissenschaft an der Graduate School of Business in Chicago und schloss 1992 mit einem Master of Business Administration (MBA) ab. Parallel versuchte er sich als Börsenhändler und arbeitete für die Continental Bank; dort stieg er in die Führungsetagen auf. 1992 wechselte er zur Investmentbank Morgan Stanley. Finanziell ging es ihm glänzend in diesen Jahren in der Bankenwelt. Er verdiente sechsstellige Dollarsummen als Jahresgehalt, besaß ein Haus mit sechs Schlafzimmern, fuhr prestigeträchtige Autos und genoss luxuriöse Urlaube.
Michelle wird, als sie so weit ist, ebenfalls großen Wert auf ein hohes Gehalt legen. Aber anders als sie war Craig zu drastischen Gehaltseinbußen bereit, als ihm klar wurde, dass der Erfolg in der Investmentbranche ihn nicht glücklich machte. 1999 kehrte er der Finanzwelt den Rücken und suchte erneut den Einstieg als Basketballtrainer. Sein Gehalt sank auf ein Zehntel der vorigen Summe, aber er fühlte sich, wie er sagte, endlich wieder als ein ganzer Mensch.
Michelle sollte zeitversetzt ähnliche Phasen von Versuch und Irrtum, von oberflächlichem Erfolg und finanzieller Belohnung, aber inhaltlicher Enttäuschung, auf der Suche nach dem passenden Berufs- und Lebensweg durchmachen. Das Jurastudium in Harvard, das sie im Herbst 1985 aufnahm, war der Einstieg in diesen Lebensabschnitt. Es bildet die Brücke vom Aufbegehren gegen die Rassenverhältnisse in Princeton zur Anpassung an die Welt der oberen weißen Mittelklasse zu Beginn ihrer Anwaltskarriere.
Warum Jura, warum Harvard? Michelle gibt keine Hilfestellung bei der Suche nach der richtigen Antwort, weil sie ihre damaligen Motive bis heute öffentlich nicht auf überzeugende Weise erklärt hat. Im Gegenteil, sie hat sich im Wahlkampf oft kritisch über die Welt der Juristen und speziell der Anwaltskanzleien geäußert. Ein Hauptstudium der Rechtswissenschaft an einer herausragenden Law School war ein eher konventioneller Weg nach dem Grundstudium in Princeton. Andere, sehr übliche Alternativen waren Bewerbungen bei einer Bank oder einem anderen großen Konzern, um ein gutes Gehalt zu ergattern und möglichst rasch die Studienkredite zurückzuzahlen. Wer stattdessen Jura studierte, schob diese Kalkulation um ein paar Jahre hinaus – und durfte zum Ausgleich danach mit ziemlicher Sicherheit ein noch attraktiveres Gehalt erwarten.
Czerny Brasuell, der von 1981 bis 1984 das Dritte-Welt-Zentrum in Princeton leitete und seinen Sohn bisweilen von Michelle betreuen ließ, beschrieb die künftige First Lady im «Princeton Bulletin» nach Barack Obamas Wahl zum Präsidenten als Person mit hohem Mitgefühl für bedürftige Mitmenschen. Er hatte sie sich freilich nicht als Juristin vorgestellt. Er versuchte ihr diese Studienwahl 1985 auszureden, weil sie, wie er meinte, nicht zu ihr passe. Und er war nicht überrascht, als er ein paar Jahre später von ihr hörte, der Anwaltsberuf sei wohl doch nicht das Richtige für sie gewesen. Andererseits war ihm klar, dass Michelle nicht so leicht aufgab, wenn sie sich etwas vorgenommen hatte. Sie hielt über sieben Jahre mit Jura durch, erst im Studium, dann in der Kanzlei Sidley Austin.
Auch Harvard hatte damals, wie Princeton, einen Rektor, der «affirmative action» befürwortete: Derek Bok. Und auch in Harvard gab es eine gut organisierte Gruppe, die diese gezielte Förderung von Minderheiten ablehnte, weil sie in der Praxis die Aufnahmechancen der weißen Mehrheit beschnitt. Universitätsweit hatten die Konservativen sich im lokalen Ableger der «Federalist Society» zusammengeschlossen. Speziell an der Law School gab es eine progressive Gegenbewegung. Die Anhänger der «Critical Legal Studies» (CLS) bemängelten, dass Rechtswissenschaft und Gesetze Mechanismen seien, die den gesellschaftlichen Wandel bremsen, statt ihn voranzubringen. Denn sie orientierten sich an den tradierten Sichtweisen. Sowohl Michelle als auch ihr späterer Mann Barack Obama, der ebenfalls in Harvard Jura studierte – freilich drei Jahre nach ihr, da er zwischen Grundstudium und der Promotion in Rechtswissenschaft rund drei Jahre Sozialarbeit in einem Armengebiet Chicagos leistete –, wurden stark beeinflusst von dieser Debatte. Letztlich war sie der entscheidende Anstoß für ihren Weg in die
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