Mick Jagger: Rebell und Rockstar
Band gewesen? Es ist grauenhaft, so was zu denken – gezwungen zu sein, so was denken zu müssen. Eines dieser rassistischen Vorurteile, über das ich mich auch tierisch aufrege«, so Reid, »ist, dass man fast schon davon ausgeht, dass es keine schwarzen Rock’n’Roll-Fans gibt. Ich kann so was sagen, weil es keine Schwarzen gibt, die mir zuhören. Das ist ein Umkehrschluss. N.W.A. sind erfolgreich, Ice Cube ist erfolgreich – und das nur, weil ausschließlich Schwarze ihre Musik kaufen? Ich war ein Riesenfan von Appetite for Destruction . Das ist eines der Probleme an der inflationären Verwendung des N-Worts. Es bezeichnet letztlich keine bestimmte Personengruppe.«
Living Colour waren bereits für alle Konzerte der Nordamerika-Tour im Herbst 89 gebucht, als sie gezwungen waren, sich ganz konkret mit all diesen Fragen auseinanderzusetzen, weil Guns N’ Roses das Angebot angenommen hatten, als weitere Vorgruppe bei den vier Konzerten im Los Angeles Sports Coliseum im Oktober aufzutreten. Zu dieser Zeit galten sie bereits als Geächtete. »Wir sollten bei einem von David Geffen initiierten AIDS-Benefizkonzert auftreten«, erinnert sich der ehemalige Guns-Bassist Duff McKagan. »Doch dann flogen wir aus dem Programm raus, wegen der Schwuchtel-Zeile. Der Song sorgte für eine Menge Spannungen.«
Das wirft die Frage auf, warum die Stones die umstrittene Band überhaupt in ihrem Vorprogramm auftreten lassen wollten. »Ich glaube, die Bedeutung, die Guns N’ Roses damals für die Rockmusik hatten, war einfach unbestreitbar«, erklärt Reid. »Guns N’ Roses hatten einen enormen Einfluss, und das ist eine Tatsache, die man einfach nicht leugnen konnte. Die Stones mussten erkennen und akzeptieren, dass diese Jungs in gewisser Weise ihre Erben waren. Und LA war ihre Stadt. Man kam um Guns N’ Roses gar nicht herum. Auf dem Großteil der Tour waren sie nicht dabei, aber eben für vier Tage in LA. Die dem zugrundeliegende Logik konnte ich absolut nachvollziehen. Absolut.«
Für die Stones war das Ganze business as usual . So gehen sie immer vor; bringen eine angesagte neue Band in ihre eigene Umlaufbahn und neutralisieren sie so gewissermaßen, das ergibt durchaus Sinn. Man könnte natürlich auch behaupten, dass Mick sie an ihre Stelle setzten wollte. Das entspricht dem Prinzip des Jiu Jitsu: die Kraft des Gegners gegen ihn selbst einsetzen und beobachten, wie er sich dabei eigenhändig zerstört. Guns N’ Roses waren im Grunde ein bunter Haufen aus Stones-Fans und Punks. Es war nur natürlich, dass sie sich an den Stones heftig rieben, so wie es die Punks ein Jahrzehnt zuvor getan hatten. »Mick Jagger wäre am besten nach Some Girls gestorben, als er noch cool war«, soll Slash, der Gitarrist der Band, damals gesagt haben. Ein Jahr zuvor waren die Guns allerdings noch nicht mehr gewesen als einer von vielen Club-Acts. Wie alle anderen Bands schlugen sie sich um Engagements als Einheizer für Bands wie Aerosmith oder Mötley Crüe, die auf größere Tourneen gingen. Und jetzt spielten sie im Vorprogramm der Stones. Natürlich verehrten sie die Band und waren höllisch nervös, als sie vor ihnen auf die Bühne mussten. »Das war etwas ganz Besonderes: ›Das sind verdammt noch mal die Rolling Stones und wir spielen mit ihnen.‹ Das machte mich irgendwie nervös. Das ist jetzt die erste Liga. Das ist das ganz große Ding.« Mick konnte nicht an sich halten und spielte noch einmal kräftig mit den ohnehin schon angespannten Nerven dieser potenziell letzten Rivalen der Stones. »Ich trug immer nur Cowboystiefel«, sagt Duff McKagan. »Es regnete, und Mick sprach mich an, kurz bevor wir an dem ersten Abend auf die Bühne rausgingen. Er sagte: ›Hey Kumpel. Willst du wirklich mit den Stiefeln da raus auf unsere Bühne? Du wirst ausrutschen. Ich hab ein Paar Tennisschuhe, die ich dir leihen kann. Welche Größe hast du?‹ ›Elf‹, antwortete ich. Und er sagte: ›Genau wie ich. Dann müssen wir wohl auch dieselbe Schwanzlänge haben.‹ Das war mein erstes Gespräch mit Mick Jagger.«
Vor ihrem ersten gemeinsamen Auftritt gab Vernon Reid dem regionalen Radiosender KROQ ein Telefoninterview, in dem er Axl Rose wegen seiner Lyrics Vorwürfe machte. Und der Guns-N’-Roses-Sänger hatte davon erfahren. Vor dem Konzert braute sich hinter der Bühne ein Sturm zusammen. Die Stones schotteten sich in ihrem Gentleman’s Club ab, während Security-Leute und anderes Tourpersonal ihr Bestes gaben, damit alle Ruhe
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