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Mick Jagger: Rebell und Rockstar

Mick Jagger: Rebell und Rockstar

Titel: Mick Jagger: Rebell und Rockstar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Spitz
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Letzterem stammte »Come On«, der Song von ihrer Debütsingle. Berry begegnete ihnen wohlwollend, war jedoch kurz angebunden und wirkte etwas distanziert; er ermunterte sie »weiterzuswingen«.
    Muddy Waters habe bei Chess gerade die Decken gestrichen, als die Stones ihn dort trafen, berichtete Keith. Der Wahrheitsgehalt dieser Aussage ist umstritten, jedoch lässt sich nicht bestreiten, dass bedeutende Musiker wie Muddy Waters nebenbei auch niedere Arbeiten verrichten mussten, um finanziell irgendwie über die Runden zu kommen, weil sie eben nicht dieselben Möglichkeiten hatten wie weiße Rock’n’Roller. Das Idol für einen jungen Fan zu sein war für Schwarze damals eine Sache, der Kampf, den sie nicht nur finanziell auszutragen hatten, sondern auch auf künstlerischer Ebene – etwa um sich so viel Anerkennung zu verdienen, dass sie durch Europa touren konnten –, eine ganz andere. Dank ihrer frühen Lehrjahre im Ealing Club und in der Edith-Grove-WG konnten sich die Stones wenigstens vorstellen, was es bedeutete, hungrig zu sein, um der Musik willen Verzicht leisten zu müssen, und aufgrund der Begeisterung für den vermeintlich geistlosen Rock’n’Roll mit Geringschätzung bestraft zu werden. In den Straßen von Chicago wurden sie allein aufgrund ihrer äußerlichen Erscheinung beurteilt. »Bei Chess hatte noch nie jemand Kerle mit langen Haaren gesehen, und in der Stadt kannten das wohl auch nur die Allerwenigsten«, sagte Chess. »Am Abend nach der Session chauffierte ich Brian Jones ins Hotel zurück und die Leute auf der Straße schrien hinter uns her: ›Hey, Schwulis!‹ Weil er so lange Haare hatte, dachten sie, wir seien ein Paar.« Vor dem Hintergrund jahrzehntelang institutionalisierter und im Amerika des Jahres 1964 nur langsam zurückgehender Diskriminierung war das freilich kaum mehr als eine Bagatelle.
    Gegen Ende ihrer zweiten Amerika-Tour im Herbst desselben Jahres mussten sich die Stones ihrer in dieser Hinsicht womöglich größten moralischen Herausforderung stellen: Wie sollten sie reagieren, wenn durch das, was einem ihrer Idole widerfuhr, das Thema Gleichberechtigung als ganz persönliche Angelegenheit aufs Tapet kommen sollte?
    Ort der Handlung war wieder einmal das südliche Kalifornien: das Santa Monica Civic Center, eine direkt am Meer gelegene dreitausend Zuschauer fassende Mehrzweckhalle. Der Anlass: die Aufzeichnung der T.A.M.I. ( Teen Awards Music International) Show; am Ende sollte ein Konzertfilm mit verschiedenen Interpreten stehen, ähnlich dem Dokumentarfilm Jazz on a Summer’s Day , den die Stones so liebten. Das Idol war, wie konnte es anders sein, James Brown. Noch nannte man ihn nicht »Godfather of Soul« oder »Hardest Working Man in Show Business«, doch unter Schwarzen war er schon ein ebenso großer Star wie es die Stones für weiße Teenager waren. Zusammen mit den Stones war Brown der Hauptact einer beachtlichen Veranstaltung mit etlichen Stars, schwarzen wie weißen, die Rock-, Pop- und Soulmusik machten. Für Mick sollte es nicht das letzte Mal sein, dass er sich in Anbetracht der Musik, die er liebte, mit dem Thema Rassismus auseinandersetzen musste. Auch fünfundzwanzig Jahre später, 1989, waren noch alle Blicke auf ihn gerichtet, als es wieder einmal hoch herging, aber hier wurde er als junger Kerl von einundzwanzig Jahren erstmals dazu genötigt, öffentlich zu der Frage Stellung zu beziehen, ob ein Schwarzer und ein Weißer tatsächlich gleichberechtigt miteinander konkurrieren können. Denn sollten die Stones wirklich der Meinung sein, dass James Brown keine andere Behandlung verdiene als sie selbst oder eine andere Band gleich welcher Herkunft, dann mussten sie sich voll und ganz darauf konzentrieren »Mr. Star Time« an die Wand zu spielen – zum Wohle der Menschheit.

    © William Lovelace/Hulton Archive/Getty Images
    Die Stones touren 1964 zum ersten Mal durch die USA. In den Straßen von New York hält ein Polizist neugierige Passanten auf Abstand. V. l. n. r.: Mick Jagger, Keith Richards, Brian Jones, Charlie Watts und Bill Wyman.
    Es gab keine speziellen Garderoben im Backstagebereich des Civic Centers, nur einen großen Gemeinschaftsraum. Mick saß auf einem Klappstuhl und starrte auf seine Schuhe. Dumpf klang die Stimme irgendeines Roadies herüber, der einem Kollegen etwas zurief. Dies und die disharmonischen Klänge einer Big Band, die gerade ihre Instrumente stimmte, zerrten ungeheuer an Micks ohnehin schon angespannten Nerven. Es

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