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Mick Jagger: Rebell und Rockstar

Mick Jagger: Rebell und Rockstar

Titel: Mick Jagger: Rebell und Rockstar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Spitz
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ursprünglichen Herkunft als Club-Act weiterentwickelt zu haben. Mit dem damals angesagten Marketingkonzept, in identischer Garderobe aufzutreten, hatten sie nur kurz geflirtet: Bei ihrem ersten TV-Auftritt zur Vorstellung ihrer Debütsingle bei Decca am 7. Juli 1963 in der Sendung Thank Your Lucky Stars traten sie geschlossen in schwarzen Hosen, karierten Sportsakkos mit Samtkrägen, blauen Hemden, Lederwesten und schwarzen Strickkrawatten auf. »Andrew hatte sie ursprünglich in diese Hahnentritt-Jacketts und die Lederklamotten gesteckt«, erklärt NME -Journalist Keith Altham in Oldhams Biografie, »um ihnen eine Beatles-ähnliche Einheitskluft zu verpassen. Er hat jedoch schnell eingesehen, dass das nicht funktionierte und die Jungs das Zeug auch nicht tragen wollten.« Im Anschluss an die Sendung wurden die Verantwortlichen überhäuft von Zuschauerzuschriften, in denen über die langen Haare und das allgemein ungepflegte Erscheinungsbild der Band geklagt wurde, obschon diese sich redlich bemüht hatte, vorzeigbar zu erscheinen. Die Stones sahen ein, dass sie so keine Chance hatten und es daher genauso gut anders machen konnten. Denn auch Beschwerdebriefe brachten sie letztendlich in die Presse. Sie erlangten auf diese Weise Freiheiten, um die die Beatles sie beneideten. »Paul war eifersüchtig«, erinnert sich Peter Asher. »Sie [die Stones] konnten tragen, was sie wollten, während Epstein sie in diese beschissenen Anzüge steckte.«
    John Lennon war neidisch, weil die Stones all ihre Bad-Boy-Träume ausleben durften, während die Beatles ihr liebenswürdiges Pilzkopf-Image pflegen mussten. Das soll nicht heißen, dass die Stones gegen jede Art von Konfektionierung immun waren. Andrew Oldham hatte erfolgreich Stimmung gegen Ian Stewart gemacht und ihn aus dem ursprünglichen Line-up der Gruppe gestrichen. Sein vorspringendes Kinn und seine mangelnde Androgynität seien angeblich schlecht zu vermarkten, hieß es, und so wurde er zum Pianisten und Roadie degradiert. »Wisst ihr, seit ich euch zum ersten Mal sah, konnte ich mir die Rolling Stones immer nur … als Fünfergruppe vorstellen«, erklärte Oldham der Truppe. »Von Leuten die nach einem langen Arbeitstag nach Hause kommen, kann man nicht verlangen, sich mehr als vier Gesichter zu merken. Das hier ist Entertainment, kein Gedächtnistest.« Ebenso wichtig, wenn nicht noch wichtiger als der Sound oder irgendeine Philosophie, die sie eventuell zum Ausdruck brachten, war von Anfang an das äußere Erscheinungsbild, das Image der Stones gewesen. Ab 1965 war es jedoch ihr Handeln, das in der Öffentlichkeit den größten Widerhall fand.
    Der Filmemacher Peter Whitehead, der mit Tonite Let’s All Make Love in London eine bahnbrechende Dokumentation über die Londoner Szene in den Swinging Sixties gedreht hat, erklärte mir: »Zu dieser Zeit wusste man (wenn man nicht gerade ein Fan war) im Allgemeinen drei Dinge über die Rolling Stones: Erstens, dass sie so was Ähnliches waren wie die Beatles. Zweitens, dass sie gegen ein Tankstellenhäuschen gepinkelt hatten. Und drittens, dass es diese berühmt-berüchtigte Frage gab, die da lautete: ›Würden Sie Ihre Tochter einen Rolling Stone heiraten lassen?‹ Ich habe nie was von den Rolling Stones gehört. Ich habe Janáčeks Aus einem Totenhaus und Beethovens Quartette gehört. Man konnte sie also durchaus kennen, ohne sie zu kennen.«
    Wie dem auch sei, »Wir pissen, wo wir wollen, Mann«, dieser spontane Ausbruch, war definitiv aufrichtiger und damit der weitaus bessere Agitprop als alle anderen PR-Schachzüge im Hinblick auf das Image der Stones – ganz gleich, ob er unbewusst irgendetwas mit Oldhams Marketingmaßnahmen zu tun hatte oder nicht. Hier pinkelten vier junge Männer auf das ultimative Symbol des modernen Imperialismus’: die Tankstelle, den Hort jenes Kraftstoffs, der für die Eskalation des Vietnamkriegs verantwortlich war. »Es geht um eine aufrührerische Handlung«, so Whitehead. »Um die Idee, die dahintersteckt. Die Tankstelle. Es geht um Autos. Um Öl. Um Big Business. Es geht um dies und das, aber, offen gesagt, die ganze Chose ist völlig falsch interpretiert worden. Wir reden heute nicht über die Rolling Stones. Wir reden über den hirnrissigen Blödsinn, den die britischen Medien verzapft haben. Die Jungs waren einfach besoffen, ein bisschen stoned vielleicht. Sie hatten eine Menge gesoffen und legten einen Zwischenstopp ein, um sich ein paar Kit Kats und ein Sandwich zu besorgen

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