Mickey Haller 04 - Der fünfte Zeuge
wir.
Meine Mandantin hing an mir wie eine Klette, als wir das Gericht verließen. Sie wollte wissen, welche anderen Details mir über die bundesbehördlichen Ermittlungen vorlägen. Herb Dahl folgte uns wie der Schwanz eines Drachens. Ich hatte kein gutes Gefühl dabei, mit beiden zu sprechen.
»Tut mir leid, Lisa, aber ich weiß nicht, was das alles zu bedeuten hat. Das ist mit ein Grund, warum der Richter die Verhandlung heute frühzeitig beendet hat. Damit sich Verteidigung und Anklage ausführlicher damit beschäftigen können. Deshalb müssen Sie sich erst einmal etwas gedulden und mich und meine Leute der Sache weiter nachgehen lassen.«
»Aber das könnte es doch sein, oder nicht, Mickey?«
»Was ›es‹?«
»Na, das, aus dem hervorgeht, dass ich es nicht war – der endgültige Beweis!«
Ich blieb stehen und wandte mich ihr zu. Ihre Augen suchten mein Gesicht nach einem Zeichen der Bestätigung ab. Etwas an ihrer Verzweiflung ließ mich zum ersten Mal denken, dass ihr der Mord an Bondurant vielleicht tatsächlich angehängt werden sollte.
Aber das war nicht meine Art: an Unschuld zu glauben.
»Vorsicht, Lisa. Ich hoffe zwar, es wird den Geschworenen in aller Deutlichkeit vor Augen führen, dass es eine überzeugende Alternativmöglichkeit gibt, einschließlich Motiv und Gelegenheit. Aber machen Sie sich erst mal keine allzu großen Hoffnungen, denn es ist noch keineswegs gesagt, dass es irgendetwas beweist. Ich rechne fest damit, dass die Anklage morgen mit einer Begründung ankommt, warum ich es den Geschworenen nicht zur Kenntnis bringen darf. Deshalb müssen wir einerseits darauf vorbereitet sein, diesen Antrag zurückzuweisen, andererseits aber auch darauf, notfalls ohne es weiterzumachen. Darum habe ich einiges …«
»Aber das geht doch nicht! Das sind Beweise!«
»Lisa, die Anklage kann vorbringen, was sie will. Und dann liegt die Entscheidung beim Richter. Das einzig Gute ist, dass er uns etwas schuldig ist. Genau genommen, ist er uns sogar zweimal was schuldig, einmal für den Hammer und einmal für die DNA, die beide plötzlich aus heiterem Himmel aufgetaucht sind. Deshalb hoffe ich, er wird hier das Richtige tun und es zulassen. Deshalb müssen Sie mich jetzt auch gehen lassen. Ich muss in die Kanzlei zurück und mich an die Arbeit machen.«
Sie strich meine Krawatte glatt und zupfte den Kragen meiner Anzugjacke zurecht.
»Schon klar, ich habe verstanden. Tun Sie, was Sie tun müssen, aber rufen Sie mich heute Abend noch an, ja? Ich möchte wissen, wie die Dinge am Ende des Tages stehen.«
»Wenn die Zeit dafür reicht, Lisa. Wenn ich nicht zu müde bin, rufe ich an.«
Ich schaute über ihre Schulter zu Dahl, der einen halben Meter hinter ihr stand. Im Moment konnte ich den Kerl sogar brauchen.
»Kümmern Sie sich um sie, Herb. Bringen Sie sie nach Hause, damit ich mich an die Arbeit machen kann.«
»Mache ich«, sagte er. »Nur keine Sorge.«
Klar, nur keine Sorge. Ich musste mir um den ganzen Fall Sorgen machen, und ich konnte nicht anders, als mir auch Sorgen zu machen, dass meine Mandantin mit dem Mann wegging, mit dem ich sie gerade losgeschickt hatte. War auf Dahl Verlass, oder kümmerte er sich nur um seine Investition? Ich sah ihnen hinterher, wie sie sich über die Plaza zum Parkhaus entfernten. Schließlich ging ich an der Bibliothek vorbei in Richtung Norden zu meiner Kanzlei. Wahrscheinlich war ich wegen der Möglichkeiten, die mir in den Schoß gefallen waren, sogar aufgeregter als Lisa. Ich ließ es mir nur nicht anmerken. Man lässt sich nie in die Karten blicken, solange der Gegner nicht sein letztes Gebot gemacht hat.
Als ich in der Kanzlei ankam, lief ich immer noch auf Hochtouren, angetrieben von einem Adrenalinstoß, wie er mit einer unerwarteten Wende zu den eigenen Gunsten einhergeht. Cisco und Bullocks warteten bereits auf mich, als ich das Büro betrat. Sie fingen beide gleichzeitig zu sprechen an, und ich musste ihnen mit erhobenen Händen das Wort abschneiden.
»Immer mit der Ruhe, immer mit der Ruhe«, bremste ich sie. »Alles schön der Reihe nach und ich zuerst. Perry hat die Verhandlung frühzeitig beendet, damit sich die Anklage auf den Target Letter stürzen kann. Wir müssen morgen auf alles gefasst sein, weil ich ihn den Geschworenen unbedingt vorlegen will. Jetzt du, Cisco, was gibt es von dir? Erzähl mir von dem Brief.«
Mein Schwung, den ich den ganzen Weg vom Gericht beibehalten hatte, trug uns in mein Büro und mich hinter meinen
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