Mickey Haller 04 - Der fünfte Zeuge
nichts war und sie alles schön wieder vergessen sollen, könnte sich für unsere gemeinsame Sache als nachteiliger erweisen als eine schonungslose Offenlegung dieses Punkts.«
Perry antwortete ohne Zögern.
»Ich neige dazu, Ihnen in diesem Punkt recht zu geben, Mr. Haller. Auch ich kann mich nicht mit dem Gedanken anfreunden, die Geschworenen die ganze Nacht über diesen mysteriösen Target Letter rätseln zu lassen und dann am nächsten Morgen so zu tun, als wäre nichts gewesen.«
»Euer Ehren«, sagte Freeman rasch. »Darf ich noch einmal um Gehör bitten?«
»Nein, das ist, glaube ich, nicht nötig. Wir sollten endlich aufhören, hier drinnen Zeit zu verschwenden, und lieber mit der Verhandlung fortfahren.«
»Aber, Euer Ehren, da ist noch ein wichtiger Punkt, mit dem sich das Gericht noch nicht befasst hat.«
Der Richter sah sie gereizt an.
»Und der wäre, Ms. Freeman? Langsam verliere ich die Geduld.«
»Wenn Sie Zeugenaussagen zu einem Target Letter zulassen, der gegen den Hauptzeugen der Verteidigung gerichtet ist, wird dies dem Zeugen seine bisherige Entscheidung, sich bei seiner Aussage in diesem Verfahren nicht auf seine im fünften Zusatzartikel der Verfassung verbürgten Rechte zu berufen, aller Wahrscheinlichkeit nicht gerade erleichtern. Louis Opparizio und seine Anwälte werden ihre Entscheidung möglicherweise noch einmal überdenken, wenn der Target Letter beim Prozess zugelassen und in aller Öffentlichkeit abgehandelt wird. Daher könnte Mr. Haller hier eine Verteidigungsstrategie fahren, die letztlich dazu führt, dass sein Hauptzeuge und Sündenbock, wenn Sie so wollen, die Aussage verweigern wird. Deshalb möchte ich an dieser Stelle zu Protokoll genommen haben, dass Mr. Haller, wenn er sich auf dieses Spiel einlassen möchte, auch die Konsequenzen tragen muss. Wenn Louis Opparizio nächste Woche zu der Ansicht gelangt, es diene seinen Interessen besser, nicht vor Gericht auszusagen, und um eine neue Verhandlung über die Vorladung bittet, möchte ich nicht, dass der Verteidiger in Wehklagen ausbricht und das Gericht um einen zweiten Versuch bittet. Keine Zweitversuche, Euer Ehren.«
Der Richter nickte zustimmend.
»Das liefe etwa auf das Gleiche hinaus wie im Fall des Mannes, der seine Eltern ermordete und das Gericht um Gnade bat, weil er Waise sei. Da muss ich Ms. Freeman recht geben, Mr. Haller. Sie sind sich also im Klaren darüber, dass Sie auch darauf gefasst sein müssen, die Konsequenzen zu tragen, wenn Sie es so handhaben wollen.«
»Das ist mir sehr wohl bewusst, Euer Ehren«, sagte ich. »Und ich werde dafür sorgen, dass es auch meiner Mandantin bewusst ist. Ich möchte nur in einem Punkt widersprechen, und der ist, dass die Staatsanwältin Louis Opparizio als Sündenbock bezeichnet. Er ist kein Sündenbock, und das werden wir beweisen.«
»Also schön«, sagte der Richter, »zumindest erhalten Sie die Gelegenheit dazu. Doch jetzt, wir vergeuden hier nur unsere Zeit. Lassen Sie uns in den Saal zurückkehren.«
Während der Richter noch seine Robe anzog, folgte ich Freeman bereits nach draußen. Ich rechnete mit einer Spitze von ihr, aber stattdessen machte sie mir ein Kompliment.
»Raffinierter Schachzug, Counselor.«
»Danke. Hoffentlich erweist er sich auch wirklich als solcher.«
»Wer, glauben Sie, hat Ihnen dieses Schreiben zugespielt?«
»Wenn ich das wüsste.«
»Sind die Bundesbehörden an Sie herangetreten? Ich schätze mal, sie wollen herausfinden, wer brisante vertrauliche Dokumente an die Öffentlichkeit dringen lässt.«
»Bisher habe ich noch keinen Pieps von niemandem gehört. Vielleicht war es eine Bundesbehörde, die es hat durchsickern lassen. Wenn ich Opparizio in den Zeugenstand hole, können sie ihn schon mal auf die Aussagen festnageln, die er dort zu Protokoll gibt. Vielleicht werde ich hier von den Bundesbehörden nur instrumentalisiert. Wäre doch auch eine Möglichkeit?«
Dieser Gedanke schien sie kurz im Schritt innehalten zu lassen. Ich lächelte, als ich sie überholte.
Als ich den Saal betrat, sah ich Herb Dahl in der vordersten Reihe des Zuschauerbereichs hinter dem Tisch der Verteidigung sitzen. Ich unterdrückte den Drang, ihn über die Schranke zu zerren und sein Gesicht in den Steinboden zu rammen. Freeman und ich nahmen unsere Plätze ein, und ich berichtete meiner Mandantin flüsternd von der Diskussion im Richterzimmer. Dann kam der Richter in den Saal und ließ die Geschworenen hereinrufen.
Als auch Detective
Weitere Kostenlose Bücher