Mickey Haller 04 - Der fünfte Zeuge
das zeigt, ist, dass der tödliche Schlag nicht von der Angeklagten ausgeführt worden sein kann, wenn das Opfer diese Haltung eingenommen hat – wenn es also mit erhobenem Kopf aufrecht dastand. Nun – welche anderen Haltungen sind denkbar, die mit den uns bekannten Voraussetzungen vereinbar sind? Wir wissen, der Angriff erfolgte von hinten. Hätte sich das Opfer nach vorn gebeugt – zum Beispiel, weil es den Autoschlüssel oder sonst etwas hatte fallen lassen –, hätte es ebenfalls nicht funktioniert, weil ich über seinen Rücken nicht an den Hammer herankäme.«
Sie beugte die Puppe beim Sprechen an der Hüfte nach vorn und versuchte dann, von hinten den Hammerstiel zu fassen zu bekommen.
»Sehen Sie, das geht nicht. Dann habe ich, zwischen meinen Seminaren, zwei Tage lang nach anderen Möglichkeiten gesucht, wie der Schlag hätte ausgeführt werden können, aber das wäre nur möglich gewesen, wenn das Opfer aus irgendeinem Grund auf dem Boden gekniet oder gekauert hätte oder wenn es zufällig an die Decke geblickt hätte.«
Sie stellte die Puppe wieder aufrecht hin. Dann beugte sie den Kopf am Hals nach hinten, und der Hammerstiel senkte sich so weit, dass sie ihn problemlos packen konnte. Aber die Puppe blickte fast senkrecht nach oben.
»Nun wiesen beide Knie laut Obduktionsbefund massive Abschürfungen auf, und eine Kniescheibe war sogar gebrochen. Diese Verletzungen wurden als Folgen des Aufpralls erklärt, als Mr. Bondurant nach dem ersten Schlag zu Boden stürzte. Zuerst fiel er auf die Knie und dann mit dem Gesicht voran nach vorn. Angesichts dieser Knieverletzungen muss ich nun ausschließen, dass das Opfer kniete oder dicht über dem Boden kauerte. Damit bleibt nur diese eine Möglichkeit.«
Sie deutete auf den Kopf der Puppe, der, mit dem Gesicht nach oben, weit nach hinten geneigt war. Ich schaute zu den Geschworenen. Alle sahen aufmerksam zu. Wie Erstklässler am ersten Schultag.
»Und wenn Sie nun die Neigung des Kopfs wieder auf normal oder nur leicht angewinkelt zurückstellen, Frau Doktor, lässt sich dann bestimmen, wie groß die Person, die diese Tat tatsächlich begangen hat, mindestens gewesen sein muss?«
Freeman sprang auf und legte in tief entrüstetem Ton Einspruch ein.
»Euer Ehren, das hat nichts mit Wissenschaft zu tun. Das ist Pseudowissenschaft, pures Blendwerk, und jetzt fordert er sie auch noch auf, uns die Körpergröße von jemandem zu nennen, der die Tat begangen haben könnte. Es lässt sich unmöglich feststellen, welche Körper- oder Kopfhaltung das Opfer dieses abscheulichen …«
»Euer Ehren, die Schlussplädoyers sind erst nächste Woche«, unterbrach ich Freeman. »Wenn die Anklage Einspruch einlegen will, sollte sie dies dem Gericht vortragen, statt sich an die Geschworenen zu wenden und zu versuchen, ihnen …«
»Schluss jetzt«, ging der Richter dazwischen. »Und das gilt für Sie beide. Mr. Haller, ich habe Ihnen bei dieser Zeugin sehr viel Spielraum gelassen. Allerdings bin ich mehr und mehr zu derselben Auffassung gelangt wie Ms. Freeman, bis sie angefangen hat, hier große Volksreden zu schwingen. Dem Einspruch wird stattgegeben.«
»Danke, Euer Ehren«, sagte Freeman in einem Ton, als wäre sie gerade in der Wüste vor dem Verdursten gerettet worden.
Ich sammelte mich, sah meine Gutachterin und ihre Puppe an, warf einen Blick auf meine Notizen und nickte schließlich. Ich hatte erreicht, so viel ich konnte, und gab mich zufrieden.
»Ich habe keine weiteren Fragen.«
Freeman hatte noch Fragen, aber sosehr sie auch versuchte, Shami Arslanians Aussage anzufechten, die erfahrene Staatsanwältin konnte der erfahrenen Gutachterin nicht einen Zentimeter Boden abringen. Freeman bearbeitete sie beim Kreuzverhör fast vierzig Minuten lang, aber der einzige und zudem winzige Erfolg, den sie für die Anklage verbuchen konnte, war Arslanians Eingeständnis, dass sich unmöglich mit absoluter Gewissheit feststellen ließ, was im Parkhaus passiert war, als Bondurant ermordet wurde. Der Richter hatte uns schon am Anfang der Woche darauf hingewiesen, dass der Freitag wegen eines am späten Nachmittag stattfindenden Treffens der Richter seines Bezirks ein kurzer Verhandlungstag würde. Deshalb fiel die Nachmittagspause aus, und wir arbeiteten bis kurz vor vier Uhr, bevor Perry die Verhandlung für das Wochenende beendet erklärte. Ich ging mit dem Gefühl, Oberwasser zu haben, in die zweitägige Verhandlungspause. Zunächst war es uns gelungen, einen
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