Mickey Haller 04 - Der fünfte Zeuge
Mr. Haller.«
»Danke, Euer Ehren.«
Ich blickte auf meine Notizen hinab. Jetzt war der Moment gekommen. Wenn ich Opparizio richtig eingeschätzt hatte, war jetzt der Moment gekommen. Ich sah wieder ihn an.
»Mr. Opparizio, würde es Sie überraschen zu hören, dass Dominic Capelli, der Miteigner, den Sie nicht zu kennen behaupten, von der New Yorker …«
»Euer Ehren?«
Das kam von Opparizio. Er hatte mich unterbrochen.
»Auf den Rat meines Anwalts und gemäß den Rechten, die im fünften Zusatzartikel der Verfassung der Vereinigten Staaten und des Staates Kalifornien gewährleistet werden, verweigere ich mit allem gebührenden Respekt die Beantwortung dieser und aller weiteren Fragen.«
Da.
Ich stand vollkommen reglos da, aber nur an der Oberfläche. Energie durchströmte mich wie ein wilder Schrei. Ich nahm das Raunen, das durch den Saal ging, kaum wahr. Dann ertönte hinter mir eine feste Stimme.
»Euer Ehren, dürfte ich mich bitte an das Gericht wenden?«
Ich drehte mich um und sah, dass es Martin Zimmer war, einer von Opparizios Anwälten.
Als Nächstes hörte ich Freeman mit hoher, gepresster Stimme Einspruch einlegen und um eine Unterredung an der Richterbank bitten.
Aber ich wusste, mit einer Unterredung an der Bank wäre es diesmal nicht getan. Und das fand auch Perry.
»Mr. Zimmer, setzen Sie sich bitte wieder. Wir gehen jetzt in die Mittagspause, und ich rechne damit, alle Parteien um dreizehn Uhr wieder hier versammelt zu sehen. Die Geschworenen sind angehalten, untereinander nicht über den Fall zu sprechen und keinerlei Rückschlüsse aus der Aussage und dem Antrag des Zeugen zu ziehen.«
Unter den Journalisten im Zuschauerbereich brachen aufgeregte Diskussionen los, und der Saal leerte sich lärmend. Sobald der letzte Geschworene durch die Tür verschwunden war, ging ich vom Pult zum Tisch der Verteidigung und flüsterte Aronson ins Ohr.
»Vielleicht wollen Sie ja diesmal ins Richterzimmer mitkommen.«
Sie wollte gerade fragen, was ich meinte, als es Perry offiziell machte.
»Die Anwälte kommen bitte zu mir ins Richterzimmer. Sofort. Mr. Opparizio, Sie bleiben hier. Sie können sich mit Ihrem Anwalt beraten, verlassen aber nicht den Saal.«
Damit stand der Richter auf und ging nach hinten.
Ich folgte ihm.
50
I nzwischen kannte ich den Wandschmuck und die Einrichtung und alles andere im Richterzimmer in- und auswendig. Aber ich rechnete damit, dass dies mein letzter und wahrscheinlich schwierigster Besuch dort würde. Beim Eintreten streifte der Richter seine Robe ab und warf sie aufs Geratewohl über den Garderobenständer in der Ecke, statt sie ordentlich auf einen Kleiderbügel zu hängen, wie er das bei früheren In-camera -Besprechungen getan hatte. Dann ließ er sich in seinen Schreibtischsessel plumpsen und atmete geräuschvoll aus. Er lehnte sich weit zurück und blickte an die Decke. Seine verdrießliche Miene legte den Schluss nahe, dass er sich bei der anstehenden Entscheidung mehr Gedanken über seinen Ruf als Jurist machte als darüber, dass einem Mordopfer Gerechtigkeit widerfuhr.
»Mr. Haller«, sagte er schließlich, als entledigte er sich einer schweren Bürde.
»Ja, Euer Ehren?«
Der Richter rieb sich das Gesicht.
»Bitte sagen Sie mir, dass Sie nicht schon die ganze Zeit, und von Anfang an, vorhatten, Mr. Opparizio dazu zu bringen, vor den Geschworenen die Aussage zu verweigern.«
»Ich hätte nie damit gerechnet«, erwiderte ich, »dass er sich auf den fünften Zusatzartikel berufen würde. Nach der Verhandlung über den Aufhebungsantrag dachte ich, das würde er auf keinen Fall tun. Ich habe ihm schwer zugesetzt, das auf jeden Fall, aber ich wollte die Antworten auf meine Fragen.«
Freeman schüttelte den Kopf.
»Wollen Sie dem etwas hinzufügen, Ms. Freeman?«
»Euer Ehren, ich glaube, der Verteidiger hat dem Gericht und dem Rechtssystem von Beginn dieses Prozesses an nichts als Geringachtung entgegengebracht. Nicht einmal jetzt hat er Ihre Frage beantwortet. Er hat nicht gesagt, dass er es nicht vorgehabt hat, Euer Ehren. Er hat nur gesagt, dass er nicht damit gerechnet hätte. Das sind zwei verschiedene Dinge, und sie verdeutlichen nur einmal mehr, dass der Strafverteidiger hintertrieben ist und diesen Prozess von Anfang an zu sabotieren versucht hat. Das ist ihm jetzt gelungen. Opparizio war von Anfang ein Zeuge, der so weit in die Enge getrieben werden sollte, dass er sich auf den fünften Zusatzartikel berufen würde – ein Strohmann,
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