Mickey Haller 04 - Der fünfte Zeuge
zurückziehen würde. Als sie sich nicht von der Stelle rührten, tat ich das auch nicht. Ich wollte, dass sie fürchteten, ich könnte etwas von ihrer Unterhaltung mitbekommen.
Ich steckte mit Aronson und Trammel die Köpfe zusammen.
»Was haben sie vor?«, flüsterte Aronson. »Sie müssen doch von dem Brief bereits gewusst haben.«
»Ich bin sicher, die Anklage hat ihnen eine Kopie zukommen lassen«, sagte ich. »Opparizio tut so, als wäre er der Schlauste im Saal. Jetzt wird sich zeigen, ob er es wirklich ist.«
»Wie meinen Sie das?«
»Er steckt in einer Zwickmühle. Er weiß, er sollte dem Richter sagen, dass er sich auf sein Aussageverweigerungsrecht berufen wird, wenn ich ihn nach dem Brief frage, und dass die Vorladung deshalb zurückgezogen werden sollte. Er weiß aber auch, dass er sich in Teufels Küche begibt, wenn er im Beisein der Medien von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch macht. Damit gießt er Blut ins Wasser.«
»Und was wird er jetzt tun?«, fragte Trammel.
»Sich als der Schlauste von allen gerieren.«
Ich stand auf und begann, zwanglos hinter den Tischen auf und ab zu gehen. Zimmer sah mich über die Schulter hinweg an und beugte sich dann weiter zu seinem Mandanten vor. Schließlich trat ich wieder zu Freeman, die immer noch auf ihrem Platz saß.
»Wann schalten Sie sich ein?«
»Oh, ich glaube nicht, dass das nötig sein wird.«
»Opparizio hatte den Brief doch schon, oder etwa nicht? Sie haben ihn ihm zukommen lassen.«
Sie zuckte mit den Achseln, antwortete aber nicht. Ich schaute an ihr vorbei zu Kurlen, der drei Reihen hinter ihr saß.
»Was macht eigentlich Kurlen hier?«
»Oh … er wird vielleicht gebraucht.«
Das war sehr hilfreich.
»Als Sie mir letzte Woche dieses Angebot gemacht haben, war das doch, weil Sie den Brief gefunden hatten, oder? Sie dachten, Sie könnten deswegen ernste Probleme bekommen.«
Ohne etwas preiszugeben, blickte sie lächelnd zu mir auf.
»Was hat sich geändert? Warum haben Sie das Angebot zurückgezogen?«
Wieder antwortete sie nicht.
»Sie glauben, er wird sich auf sein Aussageverweigerungsrecht berufen, oder?«
Wieder ein Achselzucken.
»Ich würde es jedenfalls tun«, sagte ich. »Aber er …?«
»Das werden wir gleich sehen«, sagte sie beiläufig.
Ich kehrte an den Tisch zurück und setzte mich. Trammel flüsterte mir zu, dass sie immer noch nicht verstünde, worum es eigentlich ginge.
»Wir möchten, dass Opparizio beim Prozess als Zeuge auftritt. Das will er mit allen Mitteln umgehen, aber der Richter wird die Vorladung nur aufheben, wenn Opparizio erklärt, dass er sich auf den fünften Zusatzartikel berufen wird, der ihn davon entbindet, sich selbst zu belasten. Sollte er das tun, können wir einpacken. Er ist unser Sündenbock. Wir müssen ihn unbedingt in den Zeugenstand kriegen.«
»Glauben Sie denn, er wird sich auf sein Aussageverweigerungsrecht berufen?«
»Ich gehe jede Wette ein, dass nicht. Angesichts der im Saal anwesenden Medien wäre der Preis dafür zu hoch. Er steht ganz kurz vor dem Abschluss einer großen Übernahme und weiß, dass sich die Medien auf ihn stürzen werden, wenn er kneift. Ich glaube, er ist gerade schlau genug zu glauben, dass er sich im Zeugenstand schon irgendwie herausreden kann. Darauf zähle ich. Dass er sich für schlauer als alle anderen hält.«
»Und wenn er …«
Sie wurde von der Rückkehr des Richters unterbrochen. Er erklärte die Verhandlung wieder für eröffnet, und Zimmer bat darum, das Wort erteilt zu bekommen.
»Euer Ehren, ich hätte gern, dass im Protokoll vermerkt wird, dass mich mein Mandant gegen meinen Rat angewiesen hat, den Antrag auf Annullierung der Vorladung zurückzuziehen.«
Der Richter nickte und spitzte die Lippen. Er sah Opparizio an. »Dann wird Ihr Mandant also beim Prozess aussagen?«, fragte er.
»Ja, Euer Ehren«, antwortete Zimmer. »Er hat diese Entscheidung getroffen.«
»Haben Sie sich das auch wirklich gut überlegt, Mr. Opparizio? Sie haben da zwei sehr erfahrene Anwälte neben sich.«
»Ja, Euer Ehren«, antwortete Opparizio. »Meine Entscheidung steht fest.«
»Damit gilt der Antrag als zurückgezogen. Gibt es sonst noch etwas zu klären, bevor wir morgen Vormittag mit der Auswahl der Geschworenen beginnen?«
Perry sah über die Tische hinweg zu Freeman. Das verriet ihn. Er wusste, es bestand noch Diskussionsbedarf. Freeman stand mit einer Akte in der Hand auf.
»Ja, Euer Ehren. Darf ich vortreten?«
»Ich bitte darum,
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