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Microsoft Word - Daniel Kehlmann Die Vermessung der Welt

Microsoft Word - Daniel Kehlmann Die Vermessung der Welt

Titel: Microsoft Word - Daniel Kehlmann Die Vermessung der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dfg
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daß der Satz jetzt zweimal dastand, und strich ihn aus. Man sei ja erst am Anfang! Er blinzelte und strich ihn zum zweitenmal. Leider sei es ihm nicht möglich, die Details ihrer Route zu schildern, ihm verschwimme alles, er sehe bloß noch ein paar Bilder vor sich, zwischen denen er mit Mühe einen Zusammenhang herstellen könne. In Havanna zum Beispiel habe der Baron zwei Krokodile einfangen und mit einem Rudel Hunde zusammensperren lassen, um ihr Jagdverhalten zu studieren. Das Geschrei der Hunde sei kaum zu ertragen gewesen, es habe geklungen wie das Jammern von Kindern. Danach seien die Wände so blutig gewesen, daß man den Saal auf Baron Humboldts Kosten neu habe ausmalen müssen. Er schloß die Augen, riß sie wieder auf und blickte sich überrascht um, als hätte er für einen Moment vergessen, wo er war. Er hustete und nahm einen tiefen Schluck. Vor Cartagena sei ihr Schiff beinahe gekentert, auf dem Magdalenenfluß hätten die Moskitos sie hartnäckiger gequält als auf dem Orinoko, schließlich seien sie über Tausende vom verschwundenen Inkavolk angelegte Stufen in die kalten Höhen der Kordilleren aufgestiegen. Normalerweise werde man da von Trägern geschleppt, aber Baron Humboldt habe es verweigert. Der Menschenwürde wegen. Die Träger seien so beleidigt gewesen, fast hätten sie sie verprügelt. Bonpland holte tief Luft; dann, wider Willen, seufzte er leise. Vor Santa Fé de Bogota hätten sie die Honoratioren der Stadt erwartet, ihr Ruf sei ihnen offenbar vorausgeeilt, wiewohl seltsamerweise jeder vom Baron, niemand aber von Aimé Bonpland gehört habe. Vielleicht liege das am Fieber. Er stockte, der letzte Satz schien ihm unlogisch. Er erwog ihn zu streichen, aber dann entschied er sich dagegen. Noble Leute seien es gewesen, es habe Gelächter gegeben, als der Baron sich gesträubt habe, sein Barometer aus der Hand zu legen, auch habe man sich gewundert, daß ein so berühmter Mann so klein gewachsen sei. Sie hätten bei dem Biologen Mutis gewohnt. Ständig habe der Baron von Pflanzen sprechen wollen, immer wieder habe Mutis erwidert, daß sich derlei Themen in Gesellschaft nicht ziemten. Immerhin habe er, Bonpland, mit Mutis’ Kräutern sein Fieber gesenkt. Mutis habe eine junge Kammerzofe beschäftigt, eine Indianerin aus dem Hochland, mit der man, er hielt inne, nahm einen großen Schluck und spähte mit gerunzelter Stirn nach Humboldts in der Dämmerung kaum mehr sichtbarer Gestalt, ausgezeichnete Gespräche habe fuhren können über dies und das und noch anderes. Unterdessen habe der Baron Bergwerke besichtigt und Karten erstellt. Vortreffliche Karten. Daran zweifle er nicht. Ohne es zu wollen, nickte er ein paarmal, dann fuhr er fort. Mit elf Maultieren seien sie weitergezogen, über den Fluß, die Paßstraße entlang. Viel Regen. Der Boden voller Morast und Stacheln, und da Baron Humboldt weiterhin nicht gewillt gewesen sei, sich tragen zu lassen, hätten sie barfuß gehen müssen, um die Stiefel zu schonen. Sie hätten sich die Füße blutig gelaufen. Und die Maultiere seien störrisch gewesen! Die Besteigung des Pichincha hätten sie abgebrochen, als Übelkeit und Schwindel ihn überwältigt hätten. Zunächst habe Baron Humboldt alleine weitergewollt, aber dann sei auch er ohnmächtig geworden. Irgendwie hätten sie es bis zurück ins Tal geschafft. Der Baron habe es dann erneut versucht, mit einem Führer, der natürlich noch nie oben gewesen sei, in diesen Ländern kletterten die Menschen nicht auf Berge, wenn keiner sie zwinge. Erst der dritte Versuch sei gelungen, und nun wüßten sie genau, wie hoch der Berg sei, welche Temperatur sein Qualm habe, was für Flechten sein Gestein. Baron Humboldt interessiere sich ausnehmend für Vulkane, mehr als für irgend etwas anderes, das habe mit seinen Lehrern in Deutschland zu tun und mit einem Mann in Weimar, den er verehre wie Gott. Nun stehe die krönende Unternehmung, der Chimborazo, an. Bonpland nahm einen letzten Schluck, wickelte sich fester in seine Decke und sah zu Humboldt hinüber, der, er konnte es gerade noch erkennen, mit einem Messingtrichter am Erdboden horchte. Er habe ein Grollen gehört, rief Humboldt. Verschiebungen in der Erdkruste! Mit etwas Glück könne man auf einen Ausbruch hoffen. Das wäre schön, sagte Bonpland, faltete den Brief, steckte ihn ein und streckte sich auf dem Boden aus. Er fühlte die Kälte der gefrorenen Erde auf seiner Wange. Ihm war, als linderte sie sein Fieber. Wie immer schlief er gleich ein,

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