Microsoft Word - Eschbach, Andreas - Der letzte seiner Art.doc
mit
Vanillesoße abgedruckte Zutatenliste, als ich ihn sah. Den Mann, der mich suchte.
Er war es, zweifellos. Ein Asiate, schätzungsweise
japanischer Herkunft. Untersetzt, von nervöser Magerkeit, schwarzhaarig, mit unübersehbaren Schlitzaugen und gekleidet in eine absurde Auswahl absurder Kleidungsstucke, wie sie in Tokio oder einer der anderen Megastädte gerade modern sein mochten – in der Bodenstandigkeit Irlands bleibt man von den jeweiligen Narrheiten der Mode weitgehend verschont. Er
tigerte im Eingangsbereich des Supermarkts umher, trat viel zu dicht an jeden hin, der eine der Kassen passierte, hielt ihm ein postkarten großes Foto vor die Nase und spuckte ihm seine Frage förmlich ins Gesicht.
Ich stellte das Fläschchen zurück ins Regal Es war beinahe unwirklich, dem Mann bei seinen Bemühungen zuzusehen Er
wirkte wie eine Fliege, die wieder und wieder gegen eine 45
Fensterscheibe anrennt und nicht begreift, dass alle
Anstrengung nichts nutzen wird. Zumindest einige der Leute, die er ansprang, mussten mich schon hier im Laden gesehen haben, aber die Art und Weise, wie er sich ihnen näherte, viel zu nah, viel zu hektisch, viel zu drängend und fordernd, ließ jeden zurückweichen und die Flucht ergreifen. Ich fragte mich, warum er das machte. Es kam mir vor, als sei er nicht mit der Art von Körpersprache aufgewachsen, die in der westlichen Zivilisation üblich ist.
Trotzdem war seine Anwesenheit naturlich unangenehm für
mich. Schließlich ist ein Einkaufszentrum mit Bedacht so gebaut, dass man es nur durch den dafür vorgesehenen
Ausgang verlassen kann. Und ich bin keineswegs das, was man eine unauffällige Erscheinung nennen würde, die Möglichkeit, ungesehen an ihm vorbeizukommen, zog ich nicht einmal in Betracht.
Ich blieb also stehen, wo ich war, und beobachtete den
Mann, der keinerlei Anstalten machte, aufzugeben, sondern im Gegenteil entschlossen schien, bis Ladenschluss auszuharren und jeden einzelnen Kunden nach mir zu fragen. Unangenehme Hektik strömte von ihm aus. Er wirkte, als käme er aus einer Welt, in der die Rolltreppen schneller fahren, sich automatische Türen rascher öffnen, in der jeder rennt statt zu gehen und die Stunde nur fünfzig Minuten dauert. Er konnte es kaum
erwarten, bis jemand bezahlt und seine Einkäufe eingepackt hatte, die Finger seiner Hände machten ungeduldige, kreisende Bewegungen, als wollten sie dem Betreffenden am liebsten ein paar kleine Schlage verpassen, damit er sich beeilte.
Als der Geschäftsführer an mir vorbeiging, ein hagerer Mann mit rostbraunen, an den Schläfen grau werdenden Locken, hielt ich ihn am Ärmel seines weißen Kittels fest »Kann ich Sie um etwas bitten?«, fragte ich.
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Er widmete mir einen leicht unduldsamen Blick. »Bitte,
Sir?«
»Sehen Sie den Mann dort vorn beim Eingang, der Ihre
Kunden belästigt? Er verfolgt mich. Ich wollte Sie fragen, ob die Möglichkeit besteht, ihn des Ladens zu verweisen.«
Sein Kopf ruckte hoch wie ein automatisches Geschütz, das sich auf ein vorgegebenes Ziel einpeilt. »Wie bitte?« Er beobachtete einen atemlosen Moment lang, was vor den
Glastüren zur Bridge Street geschah, und schien kaum glauben zu wollen, was er sah. »Also, so geht das ja nicht«, zischte er.
»Nein, wirklich, so geht das nicht.«
Damit eilte er in einem merkwürdig humpelnden
Sturmschritt davon, fegte mit wehendem Kittel an den vor den Kassen Wartenden vorbei und griff sich den Mann. Der
fuchtelte mit seinem Foto herum, gestikulierte und
argumentierte, und das so dicht vor dem Gesicht des
Geschäftsführers, als wolle er ihn demnächst küssen. Eine Art Handgemenge begann, in dessen Verlauf weitere Angestellte dazukamen, und gemeinsam bugsierten sie den Fremden auf
die Straße hinaus, wo die Auseinandersetzung weiterging, verbal diesmal, aber lautstark.
»Allerhand«, meinte der Geschäftsführer, als er zu mir
zurückkam, derangiert und erhitzt. »Er macht draußen auf der Straße weiter, und dort kann ich es ihm nicht verbieten.« Er sah mich mit einem entrüsteten Schnauben an. »Wie war das eben?
Er verfolgt Sie?«
»Haben Sie den Mann auf dem Foto erkannt, das er
herumzeigt?«
Er blinzelte. »Nein.«
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»Jemand hat mir von diesem Mann erzählt und gesagt, es sei ein Foto von mir«, erklärte ich. »Deshalb mein Verdacht, dass er mich sucht.«
»Und weshalb sollte er Sie suchen?«
»Ich weiß es nicht«, schüttelte ich den Kopf. »Und ich will es auch nicht
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