Microsoft Word - Eschbach, Andreas - Der letzte seiner Art.doc
Pinebrook«, stellte der sich vor. Er hatte Mühe, aus dem Sessel hochzukommen, und seine Stimme war
mit einem asthmatischen Pfeifen unterlegt. »Schön, dass Sie es einrichten konnten, Mister Fitzgerald.«
Ich konnte mich zwar nicht erinnern, etwas wie einen
Termin ausgemacht zu haben – ich hatte damit gerechnet,
angerufen zu werden, und war nur in der Hoffnung, Bridget zu 124
sehen, zum Hotel gekommen –, aber ich nickte und versicherte ihm, dass es kein Problem sei.
»Darf ich so frei sein zu fragen, was Sie beruflich machen, Mister Fitzgerald?« Über Augensäcken von beachtlichen
Ausmaßen blickten mich bronzene Augen durchdringend an.
»Ich bin Angehöriger der US-Streitkräfte im vorzeitigen
Ruhestand«, gab ich ihm die für offizielle Stellen vorgesehene Auskunft.
»Sie sehen noch reichlich jung aus für einen vorzeitigen Ruhestand, wenn Sie mir die Bemerkung gestatten.«
Ich betrachtete seine warzige Haut und die dünnen, streng in der Mitte gescheitelten Haare darüber. Er sah reichlich alt aus für jemanden, der noch im Dienst war. »Es hat gesundheitliche Gründe, Sir.«
Pinebrook nickte versonnen, betrachtete mich und schien
sich seine Gedanken zu machen. »Der Tote war auch
Amerikaner, wussten Sie das?«, fragte er, übergangslos das Thema wechselnd. Vermutlich polizeiliche
Vernehmungstaktik.
»Ja«, nickte ich.
»Woher?«
»Wir hatten uns kurz vorher in der Stadt getroffen. Er hat mich auf einen Drink eingeladen.«
»Einfach so?«
Ich nickte. »Er wollte, dass ich ihm mehr darüber erzähle, wie es ist, in Irland und speziell hier in Dingle zu leben. Als Amerikaner, meine ich.«
Pinebrook räusperte sich. »Was, ahm, qualifiziert Sie
besonders, darüber Auskunft zu geben, wenn ich fragen darf?«
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»Ich lebe seit zwölf Jahren hier«, sagte ich. »Nachdem ich ihm das gesagt hatte, hat er mich auf einen Drink eingeladen.
Und da ich nichts anderes zu tun hatte, bin ich mitgegangen.«
»Da Sie ja im Ruhestand sind. Seit zwölf Jahren demnach
schon, oder?«
»Ja.«
»Verstehe.« Er machte sich keine Notizen, aber er sah so aus, als speichere er jedes Wort in einem unfehlbaren
Gedächtnis. Er wiegte erneut grüblerisch sein Haupt, während ich in Gedanken rasch noch einmal meine Antwort durchspielte auf die Frage, die unausweichlich kommen musste. Ein
Geräusch hatte ich gehört, und es hatte für mich wie ein Schuss geklungen. Ich wollte der Sache nachgehen. Auf der Treppe hörte ich das Splittern von Holz und krachende Schläge,
worauf ich zu rennen anfing. Als ich oben ankam, war die Tür zertrümmert, und in dem Zimmer dahinter lag der Tote. Ich war geschockt und durcheinander und außerdem außer Atem
und bin eine Weile ziellos auf und ab gelaufen (wodurch
erklärt war, dass man Spuren meiner Kleidung finden würde), bis ich mich wieder gefangen hatte. Dann ging ich hinunter zum Empfang und sagte der Hotelmanagerin, sie solle die
Polizei rufen, es sehe so aus, als sei ein Mord passiert. Nein, mir ist auf der Treppe niemand begegnet. Auch sonst habe ich niemanden gesehen.
»Ach, ehe ich es vergesse«, sagte Pinebrook unvermittelt,
»eine andere Sache... wahrscheinlich ist es zwecklos, dass ich Sie frage, aber wissen Sie zufällig, wo Miss Keane ist?«
Ich starrte ihn an und fühlte das Geplapper meiner Gedanken verstummen, bis nur noch beängstigende Stille in meinem
Kopf herrschte. »Miss Keane?«, echote ich klanglos.
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»Die Hotelmanagerin. Sie ist heute früh nicht zum Dienst erschienen. Zu Hause ist sie auch nicht«, erklärte der Inspector.
»Tatsächlich scheint niemand zu wissen, wo sie ist.«
»Vielleicht«, schlug ich vor, »bei einer Freundin?«
Pinebrook schüttelte den Kopf, was bei seinem gewaltigen Schädel regelrecht bedrohlich aussah. »Wir haben in der Tat schon beträchtliche Anstrengungen unternommen, sie ausfindig zu machen, aber so ungern ich derlei sage, Miss Keane ist spurlos verschwunden.«
Ich kehrte beunruhigt nach Hause zurück. Ob ich das
anschließende Verhör überstanden habe, ohne Pinebrooks
Argwohn zu wecken, weiß ich nicht. Ich kann mich kaum
daran erinnern, was ich gesagt habe. Mir ist, als hätte ich auf alles, was ich sagte, immer nur wie ein Echo die Worte Miss Keane ist spurlos verschwunden gehört.
Trotzdem sah ich sie auf dem Heimweg überall, die Männer mit den ausdruckslosen Gesichtern, die sich keinerlei Sorgen über die Höhe ihrer Mobiltelefonrechnung zu machen
schienen. Sie wirkten auch beim besten
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