Microsoft Word - Green, Simon R.-Todtsteltzers Ende
da
ist«, sagte Jesamine schließlich. »Sie war immer die
große Überlebenskünstlerin. Ich dachte, sie würde
uns alle überleben.«
»Ich kann immer noch nicht glauben, dass sie sich
auf Finn eingelassen hat«, sagte Lewis. »Sie war die
Klügste von uns; falls irgendjemand Finn hätte
durchschauen sollen, dann sie. Warum hat sie sich
gegen uns gewandt? Wir haben alles für sie getan,
was wir konnten ... und sie hat nacheinander jeden
von uns verraten. Inzwischen tauchen sogar Gerüchte
auf, sie hätte etwas mit Emma Stahls Tod zu tun.«
»Vielleicht... war es ja Finn, der auf sie gehört
hat«, überlegte Jesamine. »Und vielleicht haben wir
nicht sorgfältig genug zugehört. Zum Ende wurde in
Ansätzen deutlich, dass sie nicht glücklich war, und
das schon längere Zeit nicht mehr. Dass wir sie vielleicht niemals nur halb so gut verstanden haben, wie
wir glaubten.«
»Anne und ich sind zusammen auf Virimonde
groß geworden«, erinnerte sich Lewis. »Wir haben
alles gemeinsam gemacht. Ich dachte, wir würden
Freunde sein bis zu unserem Tod, würden füreinander kämpfen, füreinander sterben. Und dann ... hat
sich etwas verändert. Vielleicht sind wir erwachsen
geworden. Entwickelten uns auseinander. Ich hatte
immer geglaubt, dass ich sie wieder auf meine Seite
würde ziehen können, wenn ich schließlich nach
Logres zurückgekehrt wäre und Finn gestürzt hätte.
Dass ich sie wieder zu Verstand gebracht hätte. Indem ich mich bei ihr für das entschuldigte, was immer ich falsch gemacht habe, womit immer ich sie
vertrieben habe. Und jetzt wird das nie mehr möglich
sein.«
»Sie war mir die beste Freundin und der beste
Manager aller Zeiten«, sagte Jesamine. »Sie hat jedoch stets ihre eigenen Entscheidungen getroffen und
darauf bestanden, ihren eigenen Weg zu gehen.
Selbst wenn jeder, der sich etwas aus ihr machte, klar
sah, dass es der falsche Weg war. Weißt du, sie ist
die erste mir nahe stehende Person, die ich in diesem
Krieg verloren habe. Mir ist... kalt zumute.«
»Ich habe Mutter und Vater, meine Familie und
mein Zuhause verloren«, sagte Lewis. »Darin liegt
das Wesen des Krieges: all das zu verlieren, woraus
man sich am meisten macht.«
»Wir haben immer noch einander«, stellte Jesamine
fest und blickte ihn zum ersten Mal wieder an.
»Ja«, sagte Lewis. Er schenkte ihr ein Lächeln,
aber insgeheim dachte er: Das Glück der Todtsteltzers. Immer nur Pech.
»Wenn wir zurück sind«, sagte Jesamine zögernd,
»wenn wir wieder auf Logres sind und alles überstanden ist... was tun wir dann, Lewis? Wie steht es
dann mit Douglas, mit uns?«
»Er war immer mein bester Freund«, sagte Lewis.
»Er war mein Verlobter.«
»Aber hast du ihn je wirklich geliebt?«
»Ich wollte ihm nie wehtun«, sagte Jesamine. »Er
ist ein guter Mann, ein feiner Mann. Er hatte Besseres verdient, als wir ihm angetan haben.«
»Ich hatte immer geglaubt, ich würde mir eher das
eigene Herz herausreißen, als Douglas zu verletzen«,
sagte Lewis. »Als sein Champion hatte ich geschworen, zwischen ihm und jedem Ungemach zu stehen.
Er war mein Freund, stand mir näher als ein Bruder.
Und ich habe ihn verletzt, wie es niemand anderes
hätte tun können.«
»Was man alles aus Liebe tut«, sann Jesamine müde. »Wie kann etwas so Gutes so viel Leid erzeugen?«
»Ach verdammt!«, beschwerte sich Lewis und
streckte sich langsam. »Wir führen heute ein anderes
Leben. Wir haben uns alle seit damals verändert.
Falls wir diesen Krieg wirklich überleben, alle drei ...
könnten wir trotzdem nicht einfach unser altes Leben
wieder aufgreifen, in unsere alten Rollen schlüpfen.
Wir würden sie zu einengend, zu beschränkt finden.«
»Das ist jetzt mal ein erschreckender Gedanke!«,
fand Jesamine. »Nach allem, was wir durchgemacht
haben, bin ich nach wie vor ich selbst, oder nicht? Ich
empfinde jedenfalls so. Und doch ... spüre ich, wie die
Veränderungen, die das Labyrinth an mir vornahm,
weiterhin in mir wirksam sind. Wir beide sind jetzt
schon viel mehr, als wir früher waren. An welchem
Punkt endet diese Entwicklung? Endet sie überhaupt
jemals? Enden wir letztlich als neue Schrecken wie
Hazel? Ich möchte nicht zum Monster werden, Lewis!
Ich möchte nicht aufhören, ich selbst zu sein!«
Ihre Stimme wurde lauter, klang rau und verängstigt. Lewis war sofort an ihrer Seite und nahm sie in
die Arme. »Ruhig, ruhig, Liebes. Wir werden nicht
wie Hazel enden. Sie wurde allein gelassen und war
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