Microsoft Word - Green, Simon R.-Todtsteltzers Ende
Menschen von heute wirkten ... irgendwie kleiner. Weniger farbenfroh. Diana konzentrierte sich, und ein Regen aus Rosenblättern fiel lautlos auf die Statuen. Plötzlich spürte ihr offener Verstand das Echo einer anvertrauten Gegenwart, ein
Gefühl von Macht in der Luft, deren Auftritt noch
gar nicht lange zurücklag. Abrupt drehte sie sich um.
»Owen?«, fragte sie erstaunt.
Aber natürlich erhielt sie keine Antwort. Owen
Todtsteltzer lebte seit zweihundert Jahren nicht
mehr, und allein deshalb war das Imperium schon
weniger glanzvoll. Diana hatte den Todtsteltzer immer bewundert, seine Ehre, seinen Mut und seinen
trockenen, sardonischen Humor. Natürlich hatte sie
es ihm nie eingestanden. Ihm sollte schließlich nicht
der Kopf schwellen. Aber nachdem er dahingegangen war, hatte sie sich gewünscht ... hatte
sie sich gewünscht, sie hätte sich wenigstens einmal
mit ihm zusammensetzen und reden können. Sie gab
sich gern der Illusion hin, dass dabei viele Gemeinsamkeiten zutage getreten wären. Sie vermisste ihn;
aber das taten schließlich alle.
Sie erinnerte sich nach wie vor an die machtvolle
nichtmenschliche Stimme, die von überallher und
nirgendwoher erklungen war und ihnen allen berichtet hatte, dass Owen Todtsteltzer tot war. Tot wie
Jakob und Ruby. Abgehärtete Soldaten, die sich allem gestellt hatten, was Shub nach ihnen warf, und
dabei nie ein einziges Mal zusammengezuckt waren,
standen daraufhin rings um Diana und weinten sich
die Seele aus dem Leib, weil sie den einen Mann verloren hatten, den sie alle verehrten. Der der Beste
von ihnen allen gewesen war.
Er hatte die Rebellion ermöglicht. Er hatte den
Sieg ermöglicht. Obwohl er von jeher wusste, dass
Helden jung und blutig und fern der Heimat sterben.
Und doch ... seine Gegenwart schien die Siegesgärten zu durchdringen, obwohl er hier nicht begraben lag. Er war hier gewesen, und es lag nicht lange
zurück. Diana wusste das, so wie sie den eigenen
Namen kannte. Sie lächelte kurz, und das Herz ging
ihr auf. Sie selbst hatte einen Weg aus dem Totenreich zurück gefunden; vielleicht war ihm das auch
gelungen. Der Todtsteltzer hatte immer im letzten
Augenblick, wenn niemand noch damit rechnete, ein
Wunder im Ärmel gehabt. Diana verließ die Siegesgärten und setzte ihren Weg zum Slum fort, und Herz
und Schritte waren nun viel beschwingter. Der ganze
Tag und ihr Auftrag fühlten sich jetzt besser an. Sie
plante, sich mit Douglas Feldglöck zusammenzuschließen und ihn zurück zur Größe zu führen. Er
brauchte sie. Selbst wenn er das noch nicht wusste.
Der überwältigende Druck der niedergeschlagenen
Geister der Stadt hing immer noch wie eine dunkle
Wolke über ihr, aber Diana Vertue lernte allmählich
hindurchzublicken. Sie, die von der Mater Mundi
berührt und verwandelt worden war, war zu ihrer
Zeit eines der machtvollsten lebenden Espergehirne
gewesen, und jetzt, nach ihrer Rückkehr, meldete
sich die alte Kraft schnell zurück. Seltsame Lichter
brannten in ihrem Bewusstsein wie Papierlaternen
mit Schreckensgesichtern: die Elfen, die in der langen Nacht der Seele herumstreunten. Elf war zu Dianas ursprünglichen Lebzeiten ein stolzer Begriff gewesen, eine Macht der Gerechtigkeit, und Diana hasste die neuen Elfen nur umso mehr - hatten sie doch
diesen Begriff in eine Obszönität verwandelt. Überall
spürte Diana Sklavengehirne, unterdrückte und lautlos schreiende Metischengeister, deren Körper von
den Elfen aus der Ferne gesteuert wurden. Diana hatte mit diesem Phänomen gerechnet, aber sie fand die
schiere Anzahl atemberaubend. Sie war ziemlich sicher, dass Imperator Finn von dieser hohen Zahl von
Sklaven in seiner Hauptstadt nichts ahnte. Vielleicht
sollte Diana ihm eine Nachricht schicken.
Es war klar, dass sie keinen Augenblick zu früh
von den Toten zurückgekehrt war. Die Elfen weiteten
ihren Einfluss aus und wurden stärker. Je mehr Leute
sie beherrschen und aussaugen konnten, desto machtvoller wurden ihre Gehirne. Diana musste sich fragen,
ob Finn das wusste. Sie verstärkte für alle Fälle ihre
Gedankenschilde. Auf keinen Fall durfte der Feind
erfahren, dass sie zurück war; jetzt noch nicht.
Sie blieb vor einem Schaufenster stehen und betrachtete interessiert das Angebot an Videoschirmen,
wo gerade der reguläre (mit Finns Einverständnis
handelnde) Nachrichtenkanal von einer Piratensendung verdrängt wurde, die jemand aus dem Slum
sendete. Nina Malaperts strahlendes Gesicht
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