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Microsoft Word - Pelzer, Dave - Der verlorene Sohn.doc

Microsoft Word - Pelzer, Dave - Der verlorene Sohn.doc

Titel: Microsoft Word - Pelzer, Dave - Der verlorene Sohn.doc Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: jojox
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mein Ohren auf Radarempfang gestellt. Ich nahm jeden Satz, jede Silbe dieser Unterhaltung auf. Endlich, sagte ich mir, irgendjemand musste Mutter ja mal Bescheid sagen und sie zurechtweisen. Jawohl!
    Je mehr ich hörte, wie sich Tante Marys Ton Mutter gegenüber änderte, desto mehr hellte sich meine Miene auf. Das war so ganz nach meinem Geschmack.
    Langsam hob ich meinen Kopf. Ich sah Mutter direkt in die Augen. Innerlich lächelte ich. Ist das nicht schön?
    Wurde aber auch Zeit, sagte ich zu mir selbst. Als ich den beiden zuhörte, drehte sich mein Kopf von links nach rechts, von rechts nach links, so als würde ich bei einem Tennisspiel zuschauen. Erneut versuchte Tante Mary, Mutter dazu zu bringen, dass sie mich zur Kenntnis nahm. Ich nickte bestätigend mit dem Kopf und signalisierte Mutter so mein Einverständnis mit Tante Mary.
    Ich begann mich äußerst selbstbewusst zu fühlen. Ich bin wirklich jemand, sagte ich mir. Ich konnte spüren, wie sich Teile meines Körpers allmählich entspannten.
    Ich hatte nicht länger panische Angst. Wenigstens einmal war wirklich alles, wie es sein sollte ... - bis zu dem Augenblick, als ich das Telefon klingeln hörte.
    Ruckartig bewegte sich mein Kopf nach rechts, als das Telefon in der Küche losschrillte. Ich zählte mit, wie oft es läutete, und hoffte, dass der Betreffende am anderen 51

    Ende der Leitung auflegen würde. Nach dem zwölften Klingeln war ich wieder ganz angespannt. Tante Mary wandte sich zur Küche. Ich klammerte mich an ihren Arm. Na los, dachte ich, leg schon auf! Es ist keiner zu Hause. Leg schon auf. Aber das Telefon klingelte weiter
    - 16, 17, 18 Mal. Leg doch endlich auf.

    Leg doch auf! Ich spürte, wie sich Tante Mary nach vorn beugte, um aufzustehen. Ich umklammerte weiterhin ihren Arm und versuchte sie zum Bleiben zu zwingen. Als sie aufstand, folgte ich ihr. Meine rechte Hand klammerte sich an ihren linken Arm. Mitten im Gehen hielt sie an und löste meine Hand, Finger um Finger. »Bitte, David. Es ist doch nur das Telefon.
    Verdammt noch mal, sei doch nicht so unhöflich. Geh und setz dich wieder hin.« Ich stand still. Einen kurzen Augenblick sah ich Tante Mary fest in die Augen. Tante Mary verstand, was los war, und nickte. »Na gut«, sagte sie leise, »dann bleibst du eben bei mir. «
    Ich stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, als ich ihr auf dem Fuß zur Küche folgte. Plötzlich spürte ich, wie mein linker Arm zurückgerissen wurde. Ich verlor fast das Gleichgewicht und kämpfte darum, es wiederzugewinnen. Ich schloss die Augen und biss mir auf die Lippen. Meine Beine begannen zu zittern. Nur wenige Zentimeter vor mir stand Mutter. Ihr schwerer, rauer Atem brachte mich zum Zittern. Mutters Gesicht war dunkelrot. Ich konnte mir denken, wie ihre Augen hinter ihrer Brille vor Wut blitzten. Ich versuchte, zu meiner Retterin zu gelangen, aber Tante Mary war schon in der Küche verschwunden.

    52

    Ich starrte auf den Teppich hinab und wünschte, Mutter wäre fort. Doch sie packte meinen Arm noch fester.
    »Schau mich an!« zischte sie. Ich erstarrte. Ich wollte schreien, aber meine Stimme versagte. Sie starrte mich böse an. Als ich spürte, wie Mutters Kopf meinem Gesicht Zentimeter um Zentimeter näher kam, schloss ich meine Augen. Mutters monotone Stimme wurde hinterhältig. »Du frecher kleiner Scheißkerl. Sieh mal an, jetzt bist du
    auf einmal gar nicht mehr so groß. Oder? Was ist los?
    Hat dich deine kleine Tante Mary verlassen?«, sagte sie sarkastisch. Dann riss sie mich so eng an ihr Gesicht heran, dass ich ihren Atem riechen konnte und Speicheltröpfchen auf mein Gesicht sprühten. Jetzt wurde Mutters Stimme eiskalt. »Weißt du überhaupt, was zum Teufel du da getan hast? Weißt du das?! All die Fragen, denen ich ausgesetzt war? Verstehst du, welchen Peinlichkeiten du diese Familie ausgesetzt hast?«, fragte Mutter, während sie mit der linken Hand auf meine Brüder verwies, die neben ihr saßen.
    Meine Knie wurden weich. Ich wollte zum Klo gehen und mich übergeben. Mutter lächelte und bleckte ihre dunkelgelben Zähne. »Die glauben, dass ich versucht habe, dir wehzutun. Aber warum sollte ich das?«
    Ich versuchte, meinen Kopf zur Küche zu wenden.
    Tante Marys Stimme am Telefon konnte ich kaum hören.
    »Kind!«, zischte Mutter. »Junge ... merk dir das! Es ist mir ganz egal, was sie sagen! Es ist mir egal, was sie tun! Du bist damit noch nicht über den Berg! Ich werde dich zurückholen! Hörst du? Ich werde dich

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