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Microsoft Word - Pelzer, Dave - Der verlorene Sohn.doc

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Titel: Microsoft Word - Pelzer, Dave - Der verlorene Sohn.doc Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: jojox
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runter zu meinem Moped. »Wahrscheinlich sehe ich deinen Vater in ein 264

    paar Tagen wieder. Zum Teufel, vielleicht kannst du ihm ja aus diesem Schlamassel raushelfen.«
    »Ja«, erwiderte ich. »Vielleicht.«
    Zwei Wochenenden später fuhr ich mit dem Greyhound-Bus in den Missionsbezirk von San Francisco. Am Busbahnhof wartete ich über eine Stunde auf Vater. Von weitem sah ich eine heruntergekommene Kaschemme. Auf Verdacht ging ich einfach über die Straße, und da fand ich Vater dann, zusammengesackt über einem Tisch. Hilfe suchend sah ich in die Runde. Ich konnte kaum glauben, wie die Leute an Vaters Tisch vorbeigingen, ohne sich im Geringsten besorgt zu zeigen, oder wie sie mit ihren Drinks an der Theke saßen, als wäre mein Vater unsichtbar.
    Sanft rüttelte ich den Superhelden meiner Kindheit aus dem Schlaf. Sein eigener Husten schien Vater dann endgültig zu wecken. Er stank so übel, dass ich die Luft anhielt, bis ich ihm helfen konnte, aus der Kneipe zu stolpern. Die frische Luft schien für Klarheit in seinem Kopf zu sorgen. Im Sonnenlicht sah Vater jedoch noch schlimmer aus, als ich es mir je hätte vorstellen können. Absichtlich sah ich ihm nicht ins Gesicht. Ich wollte meinen Vater als jenen Mann im Gedächtnis behalten, der er einst war - als den großen, robusten, starken Feuerwehrmann mit strahlend weißen Zähnen, der sich Gefahren aussetzte, um einem Feuerwehrkollegen zu helfen, ein Kind aus einem brennenden Gebäude zu retten.
    Ohne ein Wort zu sagen, gingen Vater und ich mehrere Straßenblöcke weit. Ich wusste genau, dass ich ihn besser nicht nach seiner Trinkerei oder nach seinem Lebenswandel fragte. Aber Onkel Lees Warnung, man müsse doch etwas tun, um Vater zu 265

    helfen, irgendetwas, ging mir noch im Kopf herum.
    Ohne weiter nachzudenken, schloss ich die Augen, drehte mich um und hielt Vater mit einer Hand an.
    »Was ist passiert, Vater?«
    Er blieb stehen und hustete schrecklich. Seine Hände zitterten, als er versuchte, sich eine Zigarette anzuzünden. »Eigentlich wärst du besser dran, wenn du alles vergessen würdest, die ganze Sache - deine Mutter, das Haus, alles.« Vater nahm einen tiefen Zug aus seiner Zigarette. Ich wollte ihm in die Augen sehen, aber er versuchte weiterhin, meinen Blicken auszuweichen. »Es ist deine Mutter. Sie ist verrückt ...
    Du wärst besser dran, wenn du die ganze Sache vergessen würdest.« Das klang wie eine Anordnung, mit einer begleitenden Handbewegung, als wolle er das Familiengeheimnis ein letztes Mal endgültig unter den Teppich kehren.
    »Nein, Vater, es geht um dich! Ich mache mir Sorgen um dich! « Ein kühler Lufthauch wehte mir übers Gesicht. Mein Körper zitterte vor Schaudern, und ich kniff die Augen zusammen. Ich hätte ihn am liebsten angeschrien, aber ich hatte nicht den Mut, ihm zu sagen, wie erschrocken ich über seinen Zustand war. In meinem Gehirn tobte ein Streit darüber, was jetzt richtig und angemessen sei. Vaters Blicke sagten mir, dass sein eigenes Leben nur ihn etwas angehe und dass niemand je die Autorität eines Vaters in Frage stellen dürfe. Aber er kam daher wie der Tod auf Latschen.
    Seine Hände zitterten alle paar Sekunden, und seine Augenlider hingen so tief herunter, dass er kaum noch etwas sehen konnte. Ich hatte ganz seltsame Gefühle.
    Ich wollte Vater ja nicht wütend machen, aber ich merkte, wie ich allmählich selbst immer aufgeregter und wütender wurde. Warum warst du für mich nicht da?

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    Hättest du mich nicht wenigstens mal anrufen können?
    Kannst du denn nicht wie ein ganz normaler Vater sein, mit Arbeit und Familie, damit ich in deiner Nähe sein kann, mit dir spielen oder mit dir zum Angeln gehen kann? Warum kannst du nur nicht normal sein? All diese Fragen gingen mir lautstark im Kopf herum. Aber ich konnte sie nicht aussprechen.
    Ich atmete tief ein, ehe ich die Augen wieder öffnete.
    »Es tut mir Leid. Das alles ist nur, weil du mein Vater bist ... und weil ich dich lieb habe. «
    Vater keuchte, als er sich abwandte. Ich wusste, dass er mich gehört hatte, aber er konnte sich einfach nicht zu einer Antwort aufraffen. Die Alkoholströme und das zerstörte Familienleben hatten ihm seine innersten Gefühle genommen. Ich merkte, dass mein Vater innerlich bereits abgestorben war. Wenige Augenblicke später setzten wir beiden unseren Gang ins Nichts fort -
    mit gesenktem Kopf und ohne irgendjemanden anzusehen, vor allem ohne einander anzusehen.
    Einige Stunden später, ehe Vater mich wieder

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