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Middlesex

Middlesex

Titel: Middlesex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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Pleitegeier und Meg Flaschen Elephant Malt Liquor und gingen immer wieder nach draußen, um heimlich einen durchzuziehen. Milton sagte: »Wisst ihr, ich hab mir gedacht, wir könnten doch endlich mal Urlaub im alten Land machen. Dann könnten wir papous und jiajias Dorf besuchen.«
    »Und die Kirche reparieren, wie du's versprochen hast«, sagte Tessie.
    »Was meinst du?«, fragte Milton Pleitegeier. »Vielleicht können wir dieses Jahr ja mal einen Familienurlaub machen.«
    »Ohne mich«, sagte Pleitegeier.
    »Warum denn nicht?«
    »Tourismus ist auch nur eine Form von Kolonialismus.«
    Und so weiter und so fort. Es dauerte nicht lange, bis Pleitegeier erklärte, er teile Miltons und Tessies Werte nicht. Milton fragte, was an ihren Werten so schlimm sei. Pleitegeier sagte, er sei gegen den Materialismus. »Ihr denkt doch bloß ans Geld«, sagte er zu Milton. »Ich will so nicht leben.« Er schwenkte die Hand durchs Zimmer. Pleitegeier war gegen unser Wohnzimmer, gegen alles, was wir hatten, alles, wofür Milton gearbeitet hatte. Er war gegen die Middlesex! Dann wurde gebrüllt, und Pleitegeier warf Milton zwei Wörter an den Kopf, das eine begann mit f das andere mit d, und es wurde weiter gebrüllt, und Pleitegeiers Motorrad donnerte davon, mit Meg hinten drauf.
    Was war mit Pleitegeier geschehen? Warum hatte er sich so sehr verändert? Das komme daher, dass er nicht mehr zu Hause lebe, sagte Tessie. Es sei eben die Zeit. Dieser ganze Ärger mit dem Krieg. Ich jedoch habe eine andere Antwort. Ich vermute, Pleitegeiers Verwandlung verdankte sich in nicht geringem Maße jenem Tag, als er auf dem Bett lag und sein Leben von der Lotterie entschieden wurde. Projiziere ich?
    Belaste ich meinen Bruder mit meinen eigenen Zufalls- und Schicksalsobsessionen? Vielleicht. Aber da wir eine Reise planten - eine Reise, die versprochen worden war, nachdem Milton Rettung aus einem anderen Krieg erfahren hatte -, sah es so aus, als wollte Pleitegeier, der auf eigene Faust chemische Reisen unternahm, dem entrinnen, was ihm, in eine Wolldecke eingewickelt, vage klar geworden war: der Möglich keit, dass nicht nur seine Einberufungsnummer, sondern alles von einer Lotterie entschieden wurde. Pleitegeier versteckte sich vor dieser Entdeckung, versteckte sich hinter Windowpane, versteckte sich auf einer Fahrstuhlkabine, versteckte sich im Bett von Meg Zemka mit ihren mehrfachen Oh!s und den schlechten Zähnen, Meg Zemka, die ihm beim Vögeln ins Ohr zischte: » Vergiss deine Familie, Mann! Lauter bourgeoise Schweine! Dein Dad ist ein Ausbeuter, Mann! Vergiss sie. Die sind doch tot, Mann. Tot. Das Leben ist hier. Genau hier. Komm und hol's dir, Baby!«

DAS OBSKURE OBJEKT
    Heute fiel mir auf, dass ich nicht so weit bin, wie ich dachte. Meine Geschichte zu schreiben ist mitnichten der mutige Befreiungsakt, den ich mir erhofft hatte. Schreiben ist einsam, verstohlen, und das kenne ich ja schon. Ich bin Experte für das Leben im Untergrund. Liegt es denn wirklich an meinem unpolitischen Wesen, dass ich zur Intersexuellenbewegung Distanz halte? Könnte es nicht auch Angst sein? Angst, mich zu erheben? Zu einem von ihnen zu werden?
    Man kann eben nur das tun, wozu man befähigt ist. Wenn diese Geschichte nur für mich selbst geschrieben wird, auch gut. Aber so fühlt es sich nicht an. Leser, ich spüre dich. Das ist die einzige Art von Intimität, die mir liegt. Nur wir beide, hier im Dunkeln.
    Das war nicht immer so. Am College hatte ich eine Freundin. Sie hieß Olivia. Unsere gemeinsame Verletztheit trieb uns einander in die Arme. Olivia war erst dreizehn, als sie brutal überfallen, beinahe vergewaltigt wurde. Die Polizei hatte den Kerl geschnappt, und Olivia hatte mehrmals vor Gericht ausgesagt. Diese Tortur hatte sie in ihrer Entwicklung gehemmt. Statt zu tun, was ein Highschool-Mädchen eben tat, hatte sie das dreizehnjährige Mädchen im Zeugenstand bleiben müssen. Olivia und ich waren beide geistig durchaus in der Lage, den Studienplan zu bewältigen, uns darin sogar hervorzutun, dennoch blieben wir in entscheidenden Dingen emotional Pubertierende. Im Bett weinten wir häufig. Ich weiß noch, wie wir uns das erste Mal voreinander auszogen. Es war, als wickelten wir einen Verband ab. Ich war ein Mann, wie Olivia ihn zu dem Zeitpunkt gerade noch ertragen konnte. Ich war ihr Anfängermodell.
    Nach dem College machte ich eine Weltreise. Ich versuchte meinen Körper zu vergessen, indem ich ihn in Bewegung hielt. Neun Monate später war ich

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