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Middlesex

Middlesex

Titel: Middlesex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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werden. Sie packen zu, sie stoßen. Bei mir war das nicht so. Jedenfalls anfangs nicht. Der sprießende Krokus war ein unpersönliches Phänomen. Er war eine Art Haken, der uns aneinander befestigte, für das Objekt eher ein Stimulans der äußeren Geschlechtsteile als ein Mittel der Penetration ihrer inneren. Aber, so schien es, wirkungsvoll genug. Denn nach den ersten Nächten war sie ganz begierig danach. Begierig, das heißt, während sie vermeintlich von alldem gar nichts mitbekam. Wenn ich sie umarmte, wenn wir uns träge wanden und verknoteten, begünstigte die scheinbare Gleichgültigkeit des Objekts auch angenehme Stellungen. Nichts wurde bereitgemacht oder gestreichelt. Nichts angestrebt. Doch Übung verlieh unseren Schlafpaarungen eine geschmeidige Akrobatik. Die Augen des Objekts blieben die ganze Zeit geschlossen; ihr Kopf war häufig leicht zur Seite gedreht. Sie bewegte sich unter mir wie ein schlafendes Mädchen, das von einem Inkubus geschändet wird. Sie war wie eine, die einen feuchten Traum hat und ihr Kissen mit ihrem Liebhaber verwechselt.
    Manchmal, vorher oder nachher, schaltete ich die Nachttischlampe an. Dann schob ich ihr das T-Shirt hoch, so weit es nur ging, und zog ihr die Unterhose über die Knie. Und dann lag ich da und weidete meine Augen. Was lässt sich damit vergleichen? Goldspäne scharten sich um den Magneten ihres Nabels. Ihre Rippen waren dünn wie Zuckerstangen. Ihre Hüften, so anders als meine, waren wie eine Schale, die eine reife Frucht darreichte. Und dann meine Lieblingsstelle, da, wo ihr Brustkorb in die Brust überging, die weiche, weiße Düne.
    Ich knipste das Licht aus. Ich drückte mich an das Objekt. Ich fasste sie hinten an den Schenkeln, ordnete ihre Beine um meine Taille. Ich griff unter sie. Ich hievte sie zu mir herauf. Und dann brach mein Körper wie eine Kathedrale in Geläut aus. Der Bucklige im Glockenturm war hochgesprungen und schwang am Seil wie irr.
    Aus alldem zog ich keine dauerhaften Schlüsse über mich. Ich weiß, es ist schwer zu glauben, aber so läuft es eben. Der Geist redigiert sich selbst. Der Geist retuschiert. Es ist etwas anderes, in einem Körper zu sein als außerhalb. Von außen kann man schauen, prüfen, vergleichen. Von innen gibt es keinen Vergleich. Im vergangenen Jahr war der Krokus beträchtlich länger geworden. In seiner stattlichsten Form maß er nun ungefähr fünf Zentimeter. Der Großteil dieser Länge war allerdings von den Hautlappen verborgen, denen er entsprang. Dann gab es da noch die Haare. Im Ruhezustand war der Krokus kaum bemerkbar. Wenn ich an mir hinabblickte, sah ich nur das dunkle dreieckige Pubertätsabzeichen. Berührte ich den Krokus, dehnte er sich aus, schwoll an, bis er mit einer Art Plopp aus dem Beutel glitt, in dem er steckte. Er reckte den Kopf in die Luft. Aber nicht sehr weit. Nicht weiter als zwei Zentimeter über die Baumgrenze. Was bedeutete das? Aus eigener Anschauung wusste ich, dass das Objekt ebenfalls einen Krokus hatte. Auch er schwoll bei Berührung an. Meiner war nur größer, überschwänglicher in seinen Gefühlen. Mein Krokus trug das Herz auf der Zunge.
    Das entscheidende Merkmal war: Der Krokus hatte kein Loch an der Spitze. Es war ganz bestimmt anders als bei einem Jungen. Versetzen Sie sich bitte an meine Stelle, lieber Leser, und fragen Sie sich, zu welchem Schluss Sie bezüglich Ihres Geschlechts gekommen wären, wenn Sie das gehabt hätten, was ich hatte, wenn Sie so ausgesehen hätten, wie ich aussah. Zum Pinkeln musste ich mich hinsetzen. Der Strahl kam von unten. Innen war ich wie ein Mädchen. Innen war ich empfindlich, fast tat es weh, wenn ich einen Finger hineinsteckte. Gut, meine Brust war völlig flach. Aber an meiner Schule gab es auch noch andere Bügelbretter. Und Tessie beharrte darauf, dass ich in dieser Hinsicht nach ihr kam. Muskeln? Kaum der Rede wert. Auch keine Hüften, keine Taille. Ein Mädchen wie eine Servierplatte. Die kalorienarme Cal.
    Warum hätte ich annehmen sollen, ich sei etwas anderes als ein Mädchen? Weil ich mich zu einem Mädchen hingezogen fühlte? Das gab es doch ständig. 1974 geschah das mehr denn je. Das ganze Land frönte diesem Zeitvertreib. Meine ekstatische Ahnung über mich war damals tief vergraben. Wie lange ich es geschafft hätte, sie niederzuhalten, weiß niemand. Aber letztlich hing es doch gar nicht von mir ab. Bei allen großen Dingen ist das so. Geburt, meine ich, und Tod. Und Liebe. Und das, was die Liebe uns vermacht,

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