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Middlesex

Middlesex

Titel: Middlesex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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reserviert. Dort hatte er dreiundzwanzig Jahre zuvor als Fähnrich zur See übernachtet. Als stets sparsamer Reisender hatte Milton auch die Zimmerpreise attraktiv gefunden. Unser Aufenthalt in New York war zeitlich nicht begrenzt. Der Arzt, mit dem Milton gesprochen hatte, der Spezialist, weigerte sich, über Details zu reden, bevor ihm nicht die Gelegenheit gegeben würde, mich zu untersuchen. »Es wird euch gefallen«, versicherte Milton uns. »Es ist ziemlich schnieke, wenn ich mich recht erinnere.«
    Es war nicht schnieke. Wir fuhren vom Flughafen La Guardia mit dem Taxi hin und mussten erkennen, dass das Lochmoor seinen ehemaligen Glanz eingebüßt hatte. Empfangsdame und Kassiererin saßen hinter schusssicherem Glas. Der opulent gemusterte Teppichboden war unter den tropfenden Heizkörpern nass, und man hatte die Spiegel entfernt, sodass an den Wänden gespenstische Rechtecke, Putz und Zierschrauben zu sehen waren. Der Fahrstuhl mit seinen vergoldeten, geschwungenen Vogelbauerstäben stammte aus der Vorkriegszeit. Einst hatte es auch einen Fahrstuhlführer gegeben; jetzt nicht mehr. Wir zwängten unser Gepäck in den kleinen Kabinenraum, und ich schob die Tür zu. Immer wieder sprang sie aus der Schiene. Erst beim dritten Mal floss Strom. Endlich hob sich das Gefährt, und durch die besprühten Stäbe sahen wir die Stockwerke an uns vorbeiziehen, jedes düster und wie das andere - voneinander unterschieden bloß durch ein uniformiertes Zimmermädchen hier oder einen Zimmerservice wagen vor einer Tür oder ein Paar Schuhe da. Dennoch vermittelte die alte Kabine ein Gefühl des Aufwärtsstrebens, des Auffahrens aus einem Schacht, und es war eine Enttäuschung, als wir dann auf unser Stockwerk traten, das achte, und feststellen mussten, dass es genauso trist wie die Eingangshalle war.
    Unser Zimmer war von einer einstmals größeren Suite abgetrennt worden, daher waren die Winkel der Wände alle schief. Selbst die puppenkleine Tessie fühlte sich beengt. Aus irgendeinem Grund war das Bad beinahe genauso geräumig wie das Zimmer. Die Toilette stand verloren auf losen Fliesen und lief unablässig. Die Wanne hatte beim Abfluss einen Kalkstreifen.
    Es gab ein französisches Bett für meine Eltern, für mich war in einer Ecke eine Liege aufgestellt. Ich wuchtete meinen Koffer darauf. Mein Koffer war ein Zankapfel zwischen Tessie und mir. Sie hatte ihn vor unserer Türkeireise für mich ausgesucht. Ihn zierte ein Blumenmuster aus türkisfarbenen und grünen Blüten, was ich scheußlich fand. Seit ich an der Privatschule - und mit dem Objekt befreundet - war, hatte sich mein Geschmack verändert, verfeinert, dachte ich. Die arme Tessie wusste nicht mehr, was sie mir kaufen sollte. Alles, was sie auswählte, wurde mit Entsetzensschreien begrüßt. Ich wandte mich unnachgiebig gegen alles Synthetische oder Stoffe mit sichtbaren Nähten. Meine Eltern fanden meinen neuen Drang nach Reinheit amüsant. Häufig rieb mein Vater meine Bluse zwischen Daumen und Zeigefinger und fragte: »Ist das nun adrett?«
    Bei dem Koffer hatte Tessie keine Zeit gehabt, mich nach meiner Meinung zu fragen, und so war er nun da, mit einem Muster wie ein Platzdeckchen. Nachdem ich ihn geöffnet und den Deckel zurückgeklappt hatte, ging es mir besser. Im Koffer lagen nur Sachen, die ich selbst ausgesucht hatte: die Rundausschnittpullover in Primärfarben, die Lacoste-Hemden, die Breitkordhosen. Mein Mantel war von Papagallo, limonengrün mit hornförmigen, beinernen Knöpfen.
    »Müssen wir auspacken, oder können wir alles im Koffer lassen?«, fragte ich.
    »Ist wohl besser, wenn wir auspacken und die Koffer in den Schrank stellen«, antwortete Milton. »Dann haben wir ein bisschen mehr Platz hier.«
    Ich verstaute meine Pullis säuberlich in den Schubladen der Kommode, auch meine Socken und Unterhosen, und hängte die Hosen auf. Meinen Kulturbeutel brachte ich ins Bad und stellte ihn auf ein Bord. Ich hatte Lipgloss und Parfüm mitgenommen. Ich war mir nicht sicher, ob das jetzt überhaupt noch passte.
    Ich schloss die Badezimmertür, verriegelte sie und ging mit dem Gesicht nahe an den Spiegel, um es zu inspizieren. Über meiner Oberlippe waren zwei noch kurze dunkle Haare sichtbar. Ich holte die Pinzette aus dem Kulturbeutel und zupfte sie heraus. Davon tränten mir die Augen. Meine Sachen waren mir zu eng. Die Ärmel meines Pullovers waren zu kurz. Ich kämmte mich, und optimistisch, verzweifelt, lächelte ich mich an.
    Ich wusste, dass meine

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