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Middlesex

Middlesex

Titel: Middlesex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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Medizingeruch lag in der Luft. Nachdem meine Mutter die Versicherungsformulare ausgefüllt hatte, wurden wir ins Sprechzimmer gewiesen. Auch das weckte Vertrauen. Hinter dem Schreibtisch stand ein Eames- Stuhl, am Fenster eine Liege von Le Corbusier aus Chrom und Rindsleder. Die Regale standen voller medizinischer Bücher und Zeitschriften, die Wände waren geschmackvoll mit Kunst behängt. Großstädtische Kultiviertheit, abgestimmt auf europäisches Feingefühl. Die Atmosphäre einer triumphalen psychoanalytischen Weltsicht. Ganz zu schweigen von dem Blick auf den East River aus den Fenstern. Dr. Phils Praxis mit den Amateurgemälden und Arztkoffern war Welten entfernt.
    Es dauerte einige Minuten, bis wir feststellten, dass etwas vom Gewöhnlichen abwich. Zunächst hatten sich die Kuriositäten und Radierungen noch in die gelehrte Unordnung des Zimmers eingefügt. Doch wie wir so auf den Arzt warteten, fiel uns ein stummer Aufruhr um uns herum mehr und mehr auf. Es war, als starrte man schon eine Weile auf den Boden und merkte dann jäh, dass er von Ameisen wimmelte. Der Briefbeschwerer auf dem Schreibtisch war kein simpler, toter Stein, sondern ein winziger, aus Fels gehauener Phallus. Die Miniaturen an den Wänden enthüllten bei genauerer Betrachtung ihren Gegenstand. Unter gelben Seidenzelten kopulierten Mughal-Prinzen auf Paisley-Kissen akrobatisch mit mehreren Partnerinnen, ohne dass ihnen der Turban verrutschte. Tessie schaute errötend hin, Milton kniff die Augen zusammen, und ich versteckte mich wie immer hinter meinen Haaren. Wir versuchten den Blick abzu wenden, und sahen daher auf die Regale. Aber auch da fanden wir keine Sicherheit. Inmitten einer einlullenden Umgebung von JAMA und The New England Journal of Medici ne- Ausgaben standen einige haarsträubende Bücher. Eins, auf dessen Rücken sich Schlangen umeinander wanden, hieß Erotisch-sexuelle Paarbindung. Weiter war da ein violettes, broschürenartiges Ding mit dem Titel Ritualisierte Homosexualität: Drei Felderstudien. Auf dem Schreibtisch lag, ein Lesezeichen darin, ein Handbuch zum Thema Zufalls-Penis: Techniken der genitalen Frau-zu-Mann-Umwandlungschirurgie. Wenn es nicht schon das Schild an der Tür klar gemacht hatte, so zeigte Dr. Luces Sprechzimmer in aller Deutlichkeit, zu was für einem Spezialisten meine Eltern mich gebracht hatten. (Und schlimmer noch, dass er mich auch noch untersuchen wollte.)
    Auch Statuetten gab es. Reproduktionen von Tempelfiguren in Kujaraho hielten zusammen mit riesigen Jadepflanzen Ecken des Raums besetzt. Vor dem wachs-grünen Laub beugten sich Hindufrauen mit Melonenbrüsten nieder und entboten üppig ausgestatteten Männern Körper-öffnungen gleich Gebeten, die diese erhörten. Das Kabelgewirr einer Schalttafel, ein unanständiges Twister-Spiel, wohin man auch sah.
    »Nun sieh dir das bloß mal an«, wisperte Tessie.
    »Irgendwie ungewöhnlich eingerichtet«, sagte Milton. Und ich: »Was machen wir hier eigentlich?«
    Und genau in dem Moment ging die Tür auf, und Dr. Luce trat heraus.
    Zu dem Zeitpunkt wusste ich noch nichts von seinem Koryphäen-Status auf seinem Gebiet. Ich hatte keine Ahnung, wie häufig Luces Name in den einschlägigen Zeitschriften und Aufsätzen fiel. Allerdings sah ich sofort, dass Luce nicht der normale Hausarzt war. Statt eines Arztkittels trug er eine Wildlederweste mit Fransen. Silberhaar reichte bis an den Kragen seines beigefarbenen Rollkragenpullis. Seine Hose war ausgestellt, und an den Füßen trug er ein Paar Stiefeletten mit seitlichem Reißverschluss. Auch eine Brille hatte er, ein silbernes Metallgestell, und einen grauen Schnurrbart.
    »Willkommen in New York«, sagte er. »Ich bin Dr. Luce.« Er schüttelte meinem Vater die Hand, dann meiner Mutter, und schließlich auch mir. »Du bist bestimmt Calliope.« Er lächelte entspannt. »Mal sehen, ob ich die Mythologie noch im Kopf habe. Calliope war eine der Musen, stimmt's?«
    »Stimmt.«
    »Zuständig wofür?«
    »Epische Dichtung.«
    »Unschlagbar«, sagte Dr. Luce. Er bemühte sich um Lässigkeit, aber mir entging nicht, dass er aufgeregt war. Immerhin war ich ja ein außergewöhnlicher Fall. Er nahm sich Zeit, ergötzte sich an mir. Für einen Wissenschaftler wie Dr. Luce war ich nichts weniger als ein sexueller oder genetischer Kaspar Hauser. Da war er also, der berühmte Sexologe, ständiger Gast in der Dick Cavetts Talkshow, der regelmäßig im Playboy schrieb, und auf einmal stand ich auf seine r Schwelle,

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