Middlesex
eine extra Rechnung«, sagte Milton. »Tut mir Leid, Cal, aber da musst du jetzt wohl durch. Vielleicht kann er ja deine Neurosen heilen. Hast du welche? Jetzt ist die Gelegenheit, sie rauszulassen.« Er nahm mich in die Arme, drückte mich fest und setzte mir einen rauen Kuss seitlich auf den Kopf.
Milton war so überzeugt davon, dass alles in Ordnung kommen werde, dass er am Dienstagmorgen geschäftlich nach Florida flog. »Sinnlos, in diesem Hotel Däumchen zu drehen«, sagte er zu uns.
»Du willst doch bloß raus aus diesem Loch«, sagte ich.
»Ich mach's wieder gut. Geh doch mit deiner Mutter heute Abend mal schick essen. Wo ihr wollt. Wir sparen ja bei diesem Zimmer ein paar Mäuse, also könnt ihr beide mal so richtig was auf den Kopf hauen. Tess, führ Callie doch mal ins Delmonico's aus.«
»Was ist das Delmonico's?«, fragte ich.
»Ein Steak-Lokal.«
»Ich will Hummer. Und ein flammendes Eis«, sagte ich.
»Ein flammendes Eis! Vielleicht haben sie ja sogar das.«
Milton brach auf, und meine Mutter und ich versuchten, sein Geld auszugeben. Wir gingen zu Bloomingdale's einkaufen. Wir gingen auf einen Imbiss ins Plaza. Das Delmonico's ließen wir sein; wir zogen ein italienisches Restaurant mittlerer Preislage in der Nähe des Lochmoor vor, wo wir uns wohler fühlten. Dort aßen wir jeden Abend und bemühten uns nach Kräften, so zu tun, als wären wir auf einer Urlaubsreise. Tessie trank mehr Wein als gewöhnlich und bekam einen Schwips, und wenn sie auf die Toilette ging, trank ich aus ihrem Glas.
Normalerweise war das Auffallendste am Gesicht meiner Mutter die kleine Spalte zwischen ihren Schneidezähnen. Wenn Tessie mir zuhörte, presste sich ihre Zunge häufig gegen dieses Divot, dieses Tor. Das war das Zeichen ihrer Aufmerksamkeit. Meine Mutter schenkte dem, was ich sagte, stets größte Aufmerksamkeit. Und wenn ich ihr etwas Lustiges erzählte, fiel ihre Zunge zurück, kippte ihr Kopf nach hinten, öffnete sich ihr Mund weit und entblößte ihre gespaltenen, beherrschenden Schneidezähne.
An jedem Abend in diesem italienischen Restaurant bemühte ich mich, dass das geschah.
Morgens begleitete Tessie mich dann zu meinen Terminen in die Klinik.
»Welche Hobbys hast du, Callie?« »Hobbys?«
»Gibt es etwas, was du besonders gern machst?« »Ich bin eigentlich kein Hobby-Typ.«
»Und Sport? Magst du eine Sportart besonders gern?«
»Zählt Pingpong?«
»Ich schreib's mal auf.« Luce hinter seinem Schreibtisch lächelte. Ich war auf der Le Corbusier-Liege, lümmelte auf dem Rindsleder.
»Und was ist mit Jungs?«
»Was soll mit denen sein?«
»Gibt's an deiner Schule einen, den du magst?«
»Vermutlich waren Sie nie an meiner Schule, Herr Doktor.«
Er schaute in seinen Unterlagen nach. »Ach, eine Mädchenschule, ja?«
»Genau.«
»Fühlst du dich sexuell zu Mädchen hingezogen?« Luce sagte das schnell. Es war wie ein Schlag mit dem Gummihammer. Aber ich unterdrückte den Reflex.
Er legte seinen Füller hin und faltete die Hände. Er beugte sich vor und sprach leise. »Ich möchte, dass du weißt, dass das alles unter uns bleibt, Callie. Ich erzähle deinen Eltern nichts von dem, was du mir sagst.«
Ich war hin und her gerissen. Luce auf seinem Lederstuhl mit den langen Haaren und den Stiefeletten - einem solchen Erwachsenen konnte sich eine Jugendliche womöglich anvertrauen. Er war so alt wie mein Vater, aber ein Verbündeter der jüngeren Generation. Ich sehnte mich danach, ihm von dem Objekt zu erzählen. Jemandem, irgendeinem. Meine Gefühle für sie waren noch immer so stark, dass sie mir in die Kehle schossen. Doch ich war misstrauisch und hielt sie zurück. Ich glaubte einfach nicht, dass das alles vertraulich war.
»Deine Mutter hat gesagt, du hast ein sehr enges Verhältnis zu einer Freundin«, begann Luce erneut. Er nannte den Namen des Objekts. »Fühlst du dich sexuell zu ihr hingezogen? Oder hattest du eine sexuelle Beziehung mit ihr?«
»Wir sind bloß Freundinnen«, betonte ich ein wenig zu laut. Ich versuchte es noch einmal, etwas ruhiger. »Sie ist meine beste Freundin.« Als Antwort daraufhob sich hinter seiner Brille Luces rechte Augenbraue. Sie kam hinter ihrer Deckung hervor, als wollte auch sie mich genauer anschauen. Und da fand ich einen Ausweg:
»Ich hab mit ihrem Bruder geschlafen«, gestand ich. »Er ist im vorletzten Schuljahr.«
Erneut zeigte Luce weder Überraschung, Missbilligung noch Interesse. Er machte sich eine Notiz in seine Unterlagen,
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