Middlesex
geschlechtliche Identität des New York Hospital einfanden.
Während der Untersuchung konnten keine Hoden getastet werden. Der »Penis« zeigte eine leichte Hypospadie, die Urethra öffnete sich an der Unterseite. Das Mädchen hat stets wie andere Mädchen im Sitzen uriniert. Bluttests bestätigten den Chromosomensatz XY. Weiterhin ergaben Bluttests, dass das Kind an einem 5-alpha-Reduktase-Mangelsyndrom litt. Eine explorative Laparotomie wurde nicht durchgeführt.
Ein Familienfoto (s. Krankenakte) zeigt das Kind im Alter von zwölf Jahren. Es erscheint als glückliches, gesundes Mädchen ohne sichtbare Anzeichen von Jungenhaftigkeit, trotz seines Chromosomensatzes XY.
ERSTER EINDRUCK: Der Gesichtsausdruck des Kindes ist, wenngleich zuweilen etwas streng, grundsätzlich angenehm und aufnahmebereit, es lächelt häufig. Das Kind schlägt oft bescheiden oder schüchtern die Augen nieder. In Bewegungen und Gebärden ist es feminin, und die leichte Schlaksigkeit seines Gangs stimmt mit dem anderer Mädchen ihres Alters überein. Auch wenn manche das Geschlecht des Kindes aufgrund seiner Größe auf den ersten Blick etwas unbestimmt finden werden, würde jede längere Beobachtung zu dem Ergebnis führen, dass es tatsächlich ein Mädchen ist. Außerdem hat seine Stimme etwas Weiches, Gehauchtes. Es neigt den Kopf, wenn jemand spricht, und versucht nicht, seine Ansichten in der bedrängenden Art und Weise, wie sie für männliche Personen charakteristisch ist, durchzusetzen. Häufig macht es humorvolle Bemerkungen.
FAMILIE: Die Eltern des Mädchens sind recht typische Mittelwestler aus der Generation des Zweiten Weltkriegs. Der Vater gibt sich als Republikaner zu erkennen. Die Mutter ist eine freundliche, intelligente, fürsorgliche Person, die vielleicht etwas zu Depression oder Neurosen neigt. Sie übernimmt die Rolle der unterwürfigen Ehefrau, die typisch ist für die Frauen ihrer Zeit. Der Vater kam wegen geschäftlicher Verpflichtungen nur zweimal in die Klinik, doch wurde in diesen zwei Begegnungen deutlich, dass er von dominanter Präsenz ist, ein »Selfmademan« und ehemaliger Marineoffizier. Darüber hinaus wurde das Kind in der griechisch-orthodoxen Tradition mit deren stark geschlechtsbezogenen Rollen erzogen. Ganz allgemein erscheinen die Eltern in ihrem Denken als sehr assimiliert und »typisch amerikanisch«, doch das Vorhandensein dieser tieferen ethnischen Identität sollte nicht übersehen werden.
SEXUELLE FUNKTION: Das Kind berichtet von kindlich sexuellen Spielen mit anderen Kindern, wobei es stets als der weibliche Partner agiert hat, indem es für gewöhnlich das Kleid hochgehoben und einen Jungen den Koitus auf ihr hat simulieren lassen. Es hatte angenehme erotisch-sexuelle Empfindungen, wenn es sich vor die Wasserstrahlen am Swimmingpool eines Nachbarn gestellt hat. Von jungen Jahren an hat es häufig masturbiert.
Das Kind hat noch keinen Freund gehabt, das kann aber daran liegen, dass es eine reine Mädchenschule besucht, oder aber an einem Schamgefühl bezüglich seines Körpers. Das Kind ist sich des anomalen Aussehens seines Genitales bewusst und hat sich sehr bemüht, im Umkleideraum der Sporthalle und anderen gemeinschaftlichen Umkleideeinrichtungen nicht nackt gesehen zu werden. Gleichwohl berichtet es, Geschlechtsverkehr gehabt zu haben, allerdings nur einmal, und zwar mit dem Bruder der besten Freundin, eine Erfahrung, die es als schmerzhaft erlebt hat, unter dem Aspekt der romantischen Erkundungen von Jugendlichen aber auch erfolgreich war. GESPRÄCH: Das Kind sprach in raschen Ausbrüchen, klar und gepflegt, gelegentlich aber auch mit einer Atemlosigkeit, die mit Angst einhergeht. Sprachmuster und charakteristika erschienen hinsichtlich Oszillation der Tonhöhe und direktem Blickkontakt als weiblich. Es bekundet sexuelles Interesse ausschließlich an männlichen Personen.
SCHLUSSFOLGERUNG: Bezüglich Sprache, Gebaren und Kleidung offenbart das Kind eine weibliche geschlechtliche Identität, trotz eines dem entgegen stehenden Chromosomensatzes.
Damit wird deutlich, dass mehr als die genetischen Determinanten das anerzogene Geschlecht eine größere Rolle in der Ausbildung der geschlechtlichen Identität spielt.
Da die geschlechtliche Identität des Mädchens zu der Zeit, als ihre körperliche Verfassung entdeckt wurde, zweifelsfrei als weiblich festgestellt wurde, erscheint die Entscheidung, eine feminisierende Operation durchzuführen und mit einer Hormonbehandlung zu begleiten,
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