Middlesex
Kreis geschlossen.
Bis das geschieht, tue ich hier meine Pflicht. Ich beobachte den Fladenbrotbäcker im Dönerrestaurant unten bei mir im Haus. Er backt Brot in einem Steinofen, wie man sie damals in Smyrna hatte. Mit einem langstieligen Schieber schiebt er die Brote hin und her und holt sie heraus. Er arbeitet den ganzen Tag, vierzehn, sechzehn Stunden, mit nicht erlahmender Konzentration, seine Sandalen hinterlassen im Mehlstaub auf dem Boden Spuren. Ein Brotbackkünstler. Stephanides, Amerikaner, Enkel von Griechen, bewundert diesen türkischen Einwanderer nach Deutschland, diesen Gastarbeiter, beim Brotbacken, hier in der Hauptstraße, im Jahr 2001. Wir alle bestehen aus vielen Teilen, anderen Hälften. Nicht nur ich.
DIE GLOCKE AN der Tür von Ed's Barbershop im Busbahnhof von Scranton klingelte fröhlich. Ed, der gerade Zeitung las, senkte das Blatt, um seinen nächsten Kunden zu begrüßen.
Eine Pause schloss sich an. Dann sagte Ed: »Was ist passiert? Hast du 'ne Wette verloren?«
In der Tür stand, wenn auch so, als könnte er auf der Stelle wieder weglaufen, ein halbwüchsiger Junge, groß, sehnig, eine sonderbare Mischung, wie Ed sie noch nicht gesehen hatte. Er hatte Hippiehaare, die ihm bis über die Schultern reichten. Aber er trug einen dunklen Anzug. Die Jacke war zu weit und die Hose zu kurz, sie endete weit oberhalb der massigen, kantigen Schuhe. Selbst von der anderen Seite des Salons nahm Ed einen moschusartigen Geruch wie aus dem Secondhand-Laden wahr. Doch der Koffer des Jungen war groß und grau, der eines Geschäftsmanns.
»Ich hab bloß die Frisur satt«, antwortete der Junge.
»Da haben wir was gemeinsam«, sagte Ed, der Friseur.
Er wies auf einen Stuhl. Ich - der mühelos umgetaufte Cal Stephanides, jugendlicher Ausreißer - stellte den Koffer ab und hängte die Jacke an die Garderobe. Ich ging durch den Raum, sehr darauf konzentriert, wie ein Junge zu gehen. Wie nach einem Schlaganfall musste ich alle einfachen motorischen Fähigkeiten neu erlernen. Was das Gehen betraf, war das nicht allzu schwierig. Die Zeit, als die Schulmädchen von der Baker & Inglis Bücher auf dem Kopf balanciert hatten, war lange vorbei. Die leichte Schlaksigkeit meines Gangs, zu der Dr. Luce sich geäußert hatte, erleichterte mir den Übertritt zum schlaksigen Geschlecht. Mein Knochenbau mit seinem weiter oben liegenden Schwerpunkt war der eines Mannes. Er verhalf zu einem sauberen Vorwärtsschwung. Ärger machten mir die Knie. Ich neigte zu X-Beinen, sodass meine Hüften schwangen und mein Hinterteil ruckte. Nun versuchte ich, das Becken ruhig zu halten. Um wie ein Junge zu gehen, muss man die Schultern, nicht die Hüften schwingen lassen. Und man setzt die Füße weiter auseinander. Das alles hatte ich in eineinhalb Tagen unterwegs gelernt.
Ich stieg auf den Stuhl, froh, mich nicht mehr bewegen zu müssen. Ed der Friseur band mir ein Papierbäffchen um den Hals. Sodann breitete er eine Schürze über mich. Dabei musterte er mich unablässig und schüttelte den Kopf. »Ich hab nie kapiert, was ihr jungen Leute an langen Haaren findet. Hat mir fast das Geschäft kaputtgemacht. Ich hab vor allem Rentner hier. Kerle, die zu mir zum Haareschneiden kommen, haben meistens gar keine mehr.« Er kicherte, aber nur kurz. »Na, heute sind die Frisuren also wieder 'n bisschen kürzer. Ich sag mir, gut, vielleicht kann ich davon leben. Aber nein. Jetzt wollen sie alle unisex rumlaufen. Sie wollen die Haare gewaschen haben.« Argwöhnisch beugte er sich zu mir her. »Du willst sie doch nicht gewaschen haben, oder?«
»Nur Schneiden.«
Zufrieden nickte er. »Wie soll's denn werden?«
»Kurz«, sagte ich vorsichtig.
»Ganz kurz?«, fragte er.
»Kurz«, sagte ich, »aber nicht zu kurz.«
»Verstehe. Kurz, aber nicht zu kurz. Gute Idee. Öfter mal was Neues.«
Ich erstarrte, dachte, er spielte auf etwas an. Aber es war nur ein Scherz.
Ed hielt seinen eigenen Schopf gepflegt. Was er noch an Haaren hatte, war nach hinten geklatscht. Er hatte ein derbes, kampflustiges Gesicht. Seine Nasenflügel waren dunkel und glutrot, während er geschäftig um mich herumwirbelte, den Stuhl hochpumpte und sein Rasiermesser abzog.
»Dein Vater hat dir die Haare durchgehen lassen?«
»Bis jetzt.«
»Dann hat dir dein alter Herr mal endlich den Kopf zurechtgerückt. Aber wirst es nicht bereuen. Die Frauen wollen keinen Kerl, der wie 'n Mädchen aussieht. Glaub ja nicht, was sie dir sagen, dass sie 'nen Sensiblen wollen. Alles
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