Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Middlesex

Middlesex

Titel: Middlesex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
Vom Netzwerk:
Leben aussehen würde. Ich war ohne jedes Ziel geflüchtet. Jetzt war ich verdreckt, und mir ging das Geld aus. Früher oder später würde ich meine Eltern anrufen müssen. Aber zum ersten Mal in meinem Leben wusste ich, dass sie nichts für mich tun konnten. Niemand konnte etwas für mich tun.
    Jeden Tag ging ich mit der Bande ins Ali Baba's und kaufte ihnen Gemüseburger für fünfundsiebzig Cent das Stück. Im Gegenzug beteiligte ich mich nicht am Betteln und dem Haschhandel. Meistens saß ich in dem Mimosenwäldchen herum, und meine Verzweiflung wuchs. Ein paar Mal lief ich zum Strand und setzte mich ans Meer, aber nach einer Weile machte ich auch das nicht mehr. Die Natur brachte keine Erleichterung. Mit einem Draußen war es vorbei. Ich traf mich an, wohin ich auch ging.
    Bei meinen Eltern war es das genaue Gegenteil. Wohin sie auch gingen, was sie auch taten, stets empfing sie meine Abwesenheit. Nach der dritten Woche meines Verschwindens kamen auch die Freunde und Verwandten nicht mehr in so großer Zahl in die Middlesex. Das Haus wurde stiller. Das Telefon klingelte nicht.
    Milton rief Pleitegeier an, der nun in der Upper Peninsula lebte: »Deine Mutter macht eine schwere Zeit durch. Wir wissen immer noch nicht, wo deine Schwester ist. Deiner Mutter würde es bestimmt ein bisschen besser gehen, wenn sie dich sehen könnte. Komm doch übers Wochenende, ja?« Meine Nachricht erwähnte Milton nicht. Während der ganzen Zeit, als ich in der Klinik gewesen war, hatte er Pleitegeier nur über das Allernotwendigste auf dem Laufenden gehalten. Pleitegeier hörte den Ernst in Miltons Stimme und erklärte sich bereit, an den Wochenenden zu kommen und in seinem alten Zimmer zu wohnen. Nach und nach erfuhr er die Einzelheiten meiner Verfassung, und seine Reaktion darauf war milder als die meiner Eltern, was es ihnen oder wenigstens Tessie ermöglichte, die neue Wirklichkeit Schritt für Schritt zu akzeptieren. An einem dieser Wochenenden war es, dass Milton seinen Sohn in dem verzweifelten Versuch, das wieder hergestellte Verhältnis zu ihm zu zementieren, ein weiteres Mal drängte, in den Familienbetrieb einzusteigen. »Du bist doch wohl nicht mehr mit dieser Meg zusammen, oder?«
    »Nein.«
    »Also, dein Ingenieurstudium hast du geschmissen. Was willst du jetzt machen? Deine Mutter und ich haben keine sehr klaren Vorstellungen davon, wie du da in Marquette überhaupt lebst.«
    »Ich arbeite in einer Kneipe.«
    »In einer Kneipe arbeitest du? Als was?«
    »Als Koch.«
    Milton stutzte nur kurz. »Was würdest du lieber tun, am Grill stehen oder eines Tages Hercules Hot Dogs leiten? Hast sie ja ohnehin erfunden.«
    Pleitegeier sagte nicht Ja. Aber Nein sagte er auch nicht. Früher war er mal Wissenschaftsfreak gewesen, aber damit hatten die Sechziger aufgeräumt. Unter dem Diktat jenes Jahrzehnts war Pleitegeier Laktovegetarier geworden, hatte Transzendentale Meditation gelernt und Mescal-Buttons gekaut. Einmal, das war lange her, hatte er Golfbälle durchsägt, um zu sehen, was in ihnen war, aber an einem bestimmten Zeitpunkt seines Lebens hatte sich mein Bruder dem Wesen des Geistes zugewandt, wollte ihn ergründen. Überzeugt von der grundlegenden Nutzlosigkeit einer formalistischen Erziehung, hatte er sich aus der Zivilisation zurückgezogen. Wir beide hatten unsere Zeiten, in denen wir uns in die Natur zurückzogen, Pleitegeier in die Upper Peninsula, ich in meinen Busch im Golden Gate Park. Zu der Zeit aber, als mein Vater ihm sein Angebot machte, wurde Pleitegeier das Leben in den Wäldern schon wieder leid.
    »Na komm«, sagte Milton, »gehen wir doch gleich mal einen Hercules essen.«
    »Ich esse kein Fleisch«, sagte Pleitegeier. »Wie kann ich so einen Laden führen, wenn ich kein Fleisch esse?«
    »Ich habe mir überlegt, Salatbars einzurichten«, sagte Milton.
    »Heutzutage wollen viele fettarme Kost.«
    »Gute Idee.«
    »Ach ja? Findest du? Das kann ja dann deine Abteilung werden.« Milton knuffte Pleitegeier scherzend. »Für den Anfang wirst du Direktor des Bereichs Salatbars.«
    Sie fuhren ins Hercules in der Stadt. Als sie eintrafen, war viel Betrieb. Milton begrüßte den Geschäftsführer, Gus Zaras. »Jas sou.«
    Gus schaute auf und, eine Sekunde zu spät, lächelte. »Hallo, Milt. Alles klar?«
    »Alles bestens. Ich hab den zukünftigen Boss mitgebracht, um ihm den Laden zu zeigen.« Er zeigte auf Pleitegeier.
    »Willkommen in der Familiendynastie«, scherzte GUS und breitete die Arme aus. Er

Weitere Kostenlose Bücher