Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Middlesex

Middlesex

Titel: Middlesex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
Vom Netzwerk:
hingestreckt auf dem Sofa. Ihr Fischschwanz hing tropfend über der Armlehne. Über ihrem Oberteil trug sie ein T-Shirt. Etwas von Emily Dickinson war darauf.
    Geräusche vom Becken wurden in die Garderobe geschleust. Bob Presto klopfte seine Sprüche: »Meine Damen und Herren, sind Sie bereit für ein wahrhaft elektrisierendes Erlebnis?«
    Zora und ich sprachen lautlos den nächsten Satz mit: »Sind Sie bereit für einen Starkstromstoß?«
    »Ich hab's satt hier«, sagte Zora. »Aber wirklich.«
    »Sollen wir gehen?«
    »Ja, doch.«
    »Was würden wir dann machen?«
    »Pfandbriefe verkaufen.«
    Etwas klatschte ins Bassin. »Aber wo ist denn heute Ellies Aal? Anscheinend versteckt er sich, meine Damen und Herren. Ob er ausgestorben ist? Vielleicht hat ein Fischer ihn gefangen. Genau, meine Damen und Herren, vielleicht wird Ellies Aal gerade an der Fisherman's Wharf verkauft.«
    »Bob hält sich für witzig«, sagte Zora.
    »Verjagen Sie solche Sorgen, meine Damen und Herren. Ellie würde uns doch nicht im Stich lassen. Da ist er! Sehen Sie doch, da ist Ellies elektrischer Aal!«
    Ein fremdes Geräusch kam aus dem Lautsprecher. Eine Tür knallte. Bob Presto schrie: »He, was soll das? Sie dürfen hier nicht rein.«
    Und dann verstummte die Anlage.
    Acht Jahre zuvor hatte die Polizei in einer Schummerkneipe in der Twelfth Street in Detroit eine Razzia durchgeführt. Jetzt, Anfang 1975, stürmte sie das Sixty-Niners. Die Maßnahme löste keinen Krawall aus. Die Kunden räumten rasch die Kabinen, strömten auf die Straße und eilten davon. Wir wurden nach unten geführt, stellten uns zu den anderen Mädchen.
    »Na, hallo«, sagte der Beamte, als er zu mir kam. »Wie alt bist du denn wohl?«
    Auf der Polizeiwache wurde mir ein Anruf gewährt. Und so knickte ich schließlich ein, gab nach und tat es: Ich rief zu Hause an.
    Mein Bruder nahm ab. »Ich bin's«, sagte ich. »Cal.« Bevor Pleitegeier antworten konnte, sprudelte alles aus mir heraus. Ich sagte ihm, wo ich steckte und was passiert war. »Sag aber nichts Mom und Dad.«
    »Das kann ich auch nicht«, sagte Pleitegeier. »Dad kann ich es nicht sagen.« Und dann erzählte mir mein Bruder in einem fragenden Ton, der zeigte, dass er es selbst kaum glauben konnte, es habe einen Unfall gegeben und Milton sei tot.

AIR-RIDE
    In meiner offiziellen Eigenschaft als stellvertretender Kulturattache, aber in inoffizieller Mission besuchte ich die Warhol-Eröffnung in der Neuen Nationalgalerie. In dem berühmten Bau Mies van der Rohes schritt ich an den berühmten Siebdruckgesichtern des berühmten Popkünstlers entlang. Die Neue Nationalgalerie ist ein wunderbares Kunstmuseum, das nur einen Haken hat: Man kann die Kunst nirgendwo aufhängen. Aber das kümmerte mich wenig. Ich starrte durch die Glaswände auf Berlin und kam mir blöde vor. Hatte ich etwa geglaubt, bei einer Ausstellungseröffnung wären Künstler? Nur Schirmherren, Journalisten, Kritiker und Prominente waren da.
    Nachdem ich von einem vorbeigleitenden Kellner ein Glas Wein angenommen hatte, setzte ich mich auf einen der Leder- Chrom-Stühle am Rand. Auch die Stühle sind von Mies. Überall sieht man Kopien, aber das hier sind Originale, inzwischen abgenutzt, das schwarze Leder wird an den Kanten braun. Ich zündete mir eine Zigarre an und rauchte, damit es mir ein bisschen besser ging. Die Menge zirkulierte plaudernd zwischen den Maos und Marilyns. Die hohe Decke sorgte für eine diffuse Akustik. Hagere Männer mit rasiertem Schädel huschten hin und her. Grauhaarige Frauen mit Naturschals zeigten gelbe Zähne. Durch die Fenster war gegenüber die Staatsbibliothek zu sehen. Der neue Potsdamer Platz erinnerte an ein Einkaufszentrum in Vancouver. In der Ferne erhellten Bauscheinwerfer die Skelette von Kränen. Auf der Straße rauschte der Verkehr. Ich zog an meiner Zigarre, kniff die Augen zusammen und erblickte mein Spiegelbild in der Scheibe.
    Dass ich aussehe wie ein Musketier, habe ich schon gesagt. Aber auch einem Faun ähnele ich manchmal (besonders spätabends in Spiegeln). Die geschwungenen Brauen, das unverschämte Grinsen, die Flammen in den Augen. Die Zigarre, die zwischen meinen Zähnen hervorragte, machte die Sache nicht besser.
    Eine Hand tippte mir auf den Rücken. »Coole Zigarre«, sagte eine Frauenstimme.
    In Mies van der Rohes schwarzer Scheibe erkannte ich Julie Kikuchi.
    »He, wir sind hier in Europa«, konterte ich lächelnd. »Hier sind Zigarren nicht cool.«
    »Am College fand ich Zigarren

Weitere Kostenlose Bücher