Midkemia Saga 01 - Der Lehrling des Magiers
Ein puppenhaftes Gesicht spähte durch die großen Vorhänge, die keinen halben Meter hinter ihm hingen. Prinzessin Anita legte einen Finger an die Lippen und winkte ihm, zu ihr zu kommen. Pug stellte fest, daß die anderen am Tisch nur die Großen und Fast-Großen im Saal beobachteten und das Verschwinden eines namenlosen kleinen Jungen kaum bemerken würden. Er erhob sich und trat durch die Vorhänge. Dahinter fand er das kleine Mädchen, das schon zum Schlafen angekleidet war. Sie stand in einem Alkoven für die Bediensteten.
Hinter ihr waren auf einem schmalen Tisch Teller gestapelt, und daneben befand sich ein weiterer Vorhang, durch den der winzige Flüchtling aus dem Bett jetzt blinzelte.
»Was macht Ihr hier?« flüsterte Pug.
»Pst!« erwiderte sie in lautem Flüsterton. »Ich darf überhaupt nicht hier sein.«
Pug lächelte. »Ich glaube kaum, daß Ihr Euch Sorgen machen müßt, gehört zu werden. Der Lärm da draußen ist viel zu groß.«
»Ich möchte den Prinzen sehen. Welcher ist es?«
Pug zog den Vorhang ein Stückchen beiseite. Er wies auf die königliche Tafel. »Er sitzt als Zweiter neben Eurem Vater, in der schwarz-silbernen Tunika und dem roten Umhang.«
Das Kind streckte sich auf die Zehenspitzen. »Ich kann ihn nicht sehen.«
Pug hob das Mädchen einen Augenblick lang hoch. Sie lächelte ihm zu. »Ich stehe in deiner Schuld.«
»Überhaupt nicht«, erklärte Pug mit gespieltem Ernst. Sie kicherten beide.
Die Prinzessin schrak zusammen, als eine Stimme dicht hinter dem Vorhang ertönte. »Ich muß fliehen!« Sie schoß durch den Alkoven und verschwand hinter einem weiteren Vorhang.
Der erste Vorhang teilte sich, und ein überraschter Diener starrte Pug an.
Unsicher, was er sagen sollte, nickte der Lakai. Eigentlich hätte der Junge nicht hier sein dürfen, aber seiner Kleidung nach war er sicherlich jemand.
Pug schaute sich um und meinte schließlich, allerdings nicht sehr überzeugend: »Ich habe den Weg in mein Zimmer gesucht. Ich muß den falschen Ausgang genommen haben.«
»Der Gästeflügel befindet sich hinter der ersten Tür links in der Speisehalle, junger Herr. Äh… hier entlang ist die Küche. Wünscht Ihr, daß ich Euch den Weg zeige?« Offensichtlich legte der Diener keinen großen Wert darauf, und Pug wünschte sich ebensowenig einen Führer. »Nein, danke, ich finde ihn schon«, sagte er.
Pug kehrte, unbemerkt von den anderen Gästen, an den Tisch zurück. Der Rest des Mahles verging ohne Zwischenfall, wenn man von gelegentlichen merkwürdigen Blicken eines Dieners absah.
Als er vom Essen zurückkehrte, fand Pug Kulgan in seinem Zimmer wartend.
Ohne Einleitung erklärte der Magier: »Wir brechen bei Tagesanbruch auf, Pug. Prinz Erland schickt uns weiter nach Rillanon, wo wir den König aufsuchen sollen.«
»Aber warum schickt der Prinz uns« Pug war wütend, denn er hatte Heimweh.
Ehe Kulgan antworten konnte, flog die Tür auf, und Prinz Arutha stürmte herein. Pug war überrascht über den Ausdruck unverhohlenen Zornes auf Aruthas Antlitz.
»Kulgan! Hier seid Ihr!« Arutha warf die Tür zu. »Wißt Ihr, was unser königlicher Vetter in bezug auf die Invasion der Tsuranis unternimmt?«
Ehe Kulgan etwas sagen konnte, platzte der Prinz mit der Antwort heraus: »Nichts! Er rührt keinen Finger, um Hilfe nach Crydee zu entsenden, ehe Vater nicht mit dem König gesprochen hat. Das wird noch einmal mindestens zwei Monate erfordern.«
Kulgan hob die Hand. Statt des Ratgebers des Herzogs sah Prinz Arutha plötzlich seinen Lehrer aus der Jugendzeit vor sich. Wie auch Pater Tully konnte Kulgan beide Prinzen noch immer befehligen, wenn er es wünschte.
»Ruhig, Arutha.«
Arutha zog sich kopfschüttelnd einen Stuhl heran. »Verzeiht mir, Kulgan. Ich hätte mich beherrschen sollen.« Er bemerkte Pugs Verwirrung. »Auch bei dir entschuldige ich mich, Pug. Es gibt hier vieles, von dem du nichts weißt.
Vielleicht…« Fragend schaute er zu Kulgan hinüber.
Kulgan zog seine Pfeife hervor. »Ihr könnt es ihm auch erzählen, da er uns auf der Reise begleiten wird. Er wird es früh genug herausfinden.«
Arutha trommelte einen Augenblick lang mit den Fingern auf der Lehne.
Dann erklärte er: »Mein Vater und Erland haben seit Tagen darüber beraten, wie man diesen Außerweltlichen am besten begegnet, sollten sie hierherkommen. Der Prinz stimmt sogar mit ihm überein, daß ihr Kommen wahrscheinlich ist.« Er machte eine kurze Pause. »Aber er will nichts unternehmen, um
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