Midkemia Saga 02 - Der verwaiste Thron
eine zuverlässige Mannschaft wichtiger als eine Woche früher oder später.
Dann befinden wir uns ohnehin schon mitten im Winter.« Er musterte Arutha. »Wißt Ihr, warum die Durchfahrt ›Straße der Finsternis‹ heißt?«
Arutha schüttelte den Kopf. »Das ist nicht bloß Aberglaube der Matrosen. Es ist eine Beschreibung dessen, was man dort vorfindet«, berichtet Amos. Sein Blick schweifte in weite Fernen, als er fortfuhr: »Jetzt kann ich Euch ja von den verschiedenen Strömungen der Endlosen See und des Meeres der Bitterkeit erzählen, die dort zusammenstoßen, oder von den verrückten, ständig wechselnden Gezeiten des Winters, oder davon, wie Winde von Norden herab fegen und Schnee vor sich hertreiben, so dicht, daß man das Deck nicht vor sich sieht. Aber andererseits … Es gibt einfach keine Worte, um die Straße im Winter zu beschreiben. Das bedeutet, einen, zwei, drei Tage blindlings reisen. Und wenn der Wind Euch nicht zurück auf die Endlose See blast, dann aber auf die südlichen Felsen. Oder aber es gibt überhaupt keinen Wind, und der Nebel verhüllt alles, während die Strömungen Euch um und um drehen.«
»Ihr zeichnet ein düsteres Bild, Käpt’n«, bemerkte Arutha mit grimmigem Lächeln.
»Nur die Wahrheit. Ihr seid ein junger Mann mit ungewöhnlichem Verstand und guten Nerven, Hoheit. Ich habe gesehen, wie Ihr stehengeblieben seid, wenn Männer mit mehr Erfahrung schon fortgelaufen wären. Ich versuche nicht, Euch angst zu machen. Ich möchte nur, daß Ihr wißt, was Ihr zu tun vorschlagt. Wenn überhaupt jemand die Straße im Winter in dieser Büchse durchqueren kann, dann ist das Amos Trask, und das ist keine eitle Prahlerei. Ich bin schon oft knapp vor oder nach der Saison gefahren. Eines weiß ich daher: Es gibt kaum einen Unterschied zwischen Herbst und Winter, Winter und Frühling. Aber eines möchte ich Euch doch noch raten: Ehe Ihr Crydee verlaßt, solltet Ihr Euch zärtlich von Eurer Schwester verabschieden, solltet Eurem Vater und Eurem Bruder schreiben und all Eure Testamente und Vermächtnisse regeln.« Ohne eine Miene zu verziehen, erklärte Arutha: »Die Briefe und Legate sind geschrieben, und Carline und ich speisen heute abend allein.«
Amos nickte. »Wir fahren mit der Morgenflut. Dieses Schiff ist ein schwerfälliges Ungetüm und vom Wasser angefault, Hoheit, aber wir werden es schaffen, und wenn ich sie aufheben und tragen muß.«
Arutha verabschiedete sich. Nachdem er außer Sichtweite war, wandte Amos seine Aufmerksamkeit gen Himmel. »Astalon«, rief er den Gott der Gerechtigkeit an, »ich bin ein sündiger Mensch, das ist wahr. Aber mußt du mich gleich so bestrafen?« Nachdem er mit seinem Schicksal ins reine gekommen war, wandte sich Amos wieder seiner Arbeit zu und schaute nach, ob alles in Ordnung war.
Carline schlenderte durch den Garten. Die welkenden Blüten spiegelten ihre eigene, traurige Stimmung wider. Roland beobachtete sie aus kurzer Entfernung und suchte nach Worten, um sie zu trösten. Schließlich sagte er: »Eines Tages werde ich Baron von Tulan sein. Seit mehr als neun Jahren war ich jetzt nicht mehr daheim. Ich muß mit Arutha die Küste hinabfahren.«
Leise sagte sie: »Ich weiß.«
Er sah die Resignation in ihrem Gesicht und trat zur ihr und umarmte sie. »Eines Tages wirst du dort auch Baronin sein.«
Sie preßte ihn fest an sich, trat dann aber zurück und zwang sich zu einer fröhlicheren Stimmung.
»Trotzdem, nach all diesen Jahren sollte man meinen, daß dein Vater es gelernt hat, ohne dich auszukommen.«
Er lächelte. »Er sollte mit Baron Bellamy den Winter in Jonril verbringen und die Vergrößerung der Garnison überwachen. Jetzt werde ich für ihn dorthin gehen. Meine Brüder sind alle noch zu jung. Wenn sich die Tsuranis für den Winter eingegraben haben, ist das unsere einzige Chance, die Festung zu vergrößern.«
Mit gezwungener Fröhlichkeit sagte sie: »Wenigstens muß ich mir keine Gedanken darüber machen, daß du die Herzen der Damen am Hofe deines Vaters brechen wirst.«
Er lachte. »Dazu gibt es kaum Gelegenheit. Die Vorräte und die Männer sind schon bereit, und die Barkassen können jederzeit auslaufen, um den Wyndermeer-Fluß hinaufzufahren. Wenn Amos mich in Tulan abgesetzt hat, werde ich wohl ein, zwei Tage daheim verbringen, mehr nicht, ehe ich mich erneut auf die Reise mache. Das wird ein langer Winter in Jonril werden, wenn meine ganze Gesellschaft aus Soldaten und ein paar Bauern in dieser gottverlassenen
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