Midkemia Saga 02 - Der verwaiste Thron
Rest der Mannschaft die Konfrontation beobachtete.
Ein Matrose rief von Deck: »Ihr habt uns belogen, Käpt’n. Ihr seid nicht nach Norden, Richtung Crydee, gesegelt, wie Ihr es uns in Tulan gesagt habt. Wenn Ihr nicht wollt, daß wir bis nach Kesh segeln, dann bleibt im Süden bloß noch die Straße der Finsternis. Habt Ihr also vor, die Straße der Finsternis zu durchqueren?«
Amos brüllte: »Verdammt, Mann. Willst du meinen Befehlen etwa nicht gehorchen?«
»Genau, Käpt’n. Es ist einfach schon Tradition: Es gibt keine gültige Abmachung zwischen einem Käpt’n und seiner Mannschaft, nach der sie die Straße im Winter durchqueren muß, außer wenn das vorher gemeinsam beschlossen wurde. Ihr habt uns belogen, und so sind wir nicht verpflichtet, Euch zu gehorchen und mit Euch zu segeln.«
Arutha hörte, wie Amos murmelte: »Ein verdammter Rechtsgelehrter.« Zu dem Matrosen sagte er: »Also gut.« Dann reichte er Vasco sein Entermesser, stieg die Leiter hinab aufs Hauptdeck und näherte sich freundlich lächelnd dem Matrosen.
»Schaut mal, Jungs«, fing er an, nachdem er die sechs widerspenstigen Seeleute erreicht hatte, die alle Belegnägel oder Splißeisen in den Händen hielten, »ich will ganz ehrlich mit euch sein. Der Prinz muß unbedingt nach Krondor, sonst ist im kommenden Frühjahr die Hölle los. Die Tsuranis stellen eine große Streitmacht auf, die vielleicht Crydee angreifen wird.« Er legte seine Hand auf die Schulter des Sprechers der Matrosen. »Das heißt also: Wir müssen nach Krondor segeln.« Mit einer plötzlichen Bewegung legte Amos den Arm um den Hals des Mannes. Dann lief er auf die Seite und hievte den hilflosen Seemann über die Reling. »Wenn ihr nicht mitkommen wollt«, rief er, »dann könnt ihr ja nach Tulan zurückschwimmen!«
Ein anderer Matrose schickte sich an, auf Amos zuzueilen, als ein Pfeil heranschwirrte und sich vor seinen Füßen ins Holzdeck bohrte. Er schaute auf und sah Martin, der auf ihn zielte. Der Jagdmeister meinte: »Würde ich nicht tun.«
Der Mann ließ sein Splißeisen fallen und trat zurück. Amos wandte sich zu den Matrosen um.
»Wenn ich das Achterdeck erreiche, solltet ihr euch besser in der Takelage befinden – oder über Bord gegangen sein. Das ist mir gleich. Jeder Mann, der nicht arbeitet, wird als der Hund gehängt, der er ist.«
Die schwachen Hilferufe des Mannes im Wasser konnten gehört werden, als Amos aufs Achterdeck zurückkehrte. Er wandte sich an Vasco: »Werft diesem Narren ein Seil zu, und wenn er noch nicht nachgibt, stoßt ihn wieder ins Wasser.« Dann brüllte er: »Segel setzen für die Straße der Finsternis.«
Arutha blinzelte das Meerwasser aus seinen Augen und hielt sich mit aller Kraft an der Sicherheitsleine fest. Über das ganze Schiff waren sie gespannt worden, denn in der rauhen See war es unmöglich, sich auf den Beinen zu halten, wenn man sich nicht irgendwo festhalten konnte.
Arutha zog sich die Leiter hinauf aufs Achterdeck und stolperte auf Amos Trask zu. Der Kapitän wartete neben dem Steuermann und legte sein großes Gewicht gegen die Ruderpinne, wenn es nötig wurde. Er stand wie angewurzelt, wie mit dem Deck verwachsen da, die Beine weit gespreizt. Er verlagerte sein Gewicht bei jeder Bewegung des Schiffes, während seine Augen die Finsternis über ihm durchdrangen. Er sah, lauschte, jeder Sinn im Einklang mit dem Rhythmus seines Schiffes.
Arutha wußte, daß er zwei Tage und eine Nacht nicht geschlafen hatte, und auch heute nacht kaum.
»Wie lange noch?« brüllte Arutha.
»Ein, zwei Tage, wer kann das sagen?« Ein Geräusch kam von oben. Es hörte sich wie das Knacken von Eis im Frühjahr auf dem Crydee-Fluß an. »Hart nach Backbord!« schrie Amos und lehnte sich schwer gegen die Pinne. Als sich das Schiff auf die Seite legte, rief er Arutha zu: »Noch ein Tag mit diesem gottverfluchten Wind, und wir können von Glück sagen, wenn das Schiff uns noch nach Tulan zurückbringt.«
»Wetterumschwung!« kam der Ruf von oben.
»Wo?«
»Steuerbord!«
»Herum!« befahl Amos, und der Steuermann lehnte sich gegen die Pinne.
Arutha strengte seine Augen an. Er versuchte, das brennende, salzige Sprühwasser zu durchdringen, und entdeckte einen schwachen Schimmer. Er schien herumzuschwingen, bis er direkt vor dem Bug lag. Dann wurde er immer größer und größer, als sie auf das bessere Wetter zuhielten. Als träten sie aus einem dunklen Raum, so bewegten sie sich vom Dunkel ins Licht. Der Himmel schien sich
Weitere Kostenlose Bücher