Midkemia Saga 04 - Dunkel über Sethanon
Berge. Dort liegt die Stadt der Toten Götter. Sie ist heutzutage mit Bäumen und Kletterpflanzen überwuchert. In der Stadt gibt es einen großen Tempel für die verlorenen Götter. Jenseits davon ist der Wohnsitz der Dahingegangenen. Ich werde nicht mehr weitergehen, Uralter. Ihr und der Zauberer mögt überleben, doch für einen Sterblichen ist das eine Reise ohne Wiederkehr. Wer die Hallen der Toten betritt, verläßt das Land der Lebenden.«
Tomas sagte: »Wir brauchen dich nicht länger. Gehe in Frieden.«
»Viel Glück auf der Jagd, Uralter.« Tuan machte sich mit schnellen festen Schritten davon.
Schweigend betraten Tomas und Pug die Schlucht.
Pug und Tomas gingen langsam über den Platz. Pug machte sich im Geiste Notizen von diesen wunderlichen Dingen. Seltsam geformte Gebäude - sechseckige, fünfeckige, rauten- und pyramidenförmige - waren in einem offensichtlich wirren Muster aneinander gefügt worden, trotzdem schien die Anordnung fast Sinn zu machen, als wäre der Betrachter einfach nicht klug genug, das Muster zu erkennen. Obelisken unüblicher Machart, hoch aufragende Säulen aus Pechkohle und Ebenholz, die mit Inschriften versehen waren, deren Runen Pug unbekannt waren, standen an den vier Ecken des Platzes. Es war eine Stadt, eine Stadt jedoch, in der weder eine Schenke noch eine einfache Hütte einen Menschen zum Verweilen einluden. Egal, in welche Richtung man sich wandte, überall erhoben sich nur Grabmäler. Und auf jedem war über dem Eingang ein Name eingemeißelt.
»Wer mag diesen Ort erbaut haben?« fragte sich Pug laut.
»Die Götter«, erwiderte Tomas. Pug betrachtete seinen Gefährten und bemerkte keinen Scherz in seinen Worten.
»Kann das wirklich so sein?«
Tomas zuckte mit den Schultern. »Selbst für Menschen wie uns bleiben manche Dinge immer ein Geheimnis. Irgendeine Kraft hat diese Grabmäler gebaut.« Er zeigte auf eins der größten Gebäude im Bereich des Platzes. »Jenes trägt den Namen Isanda.« Tomas schien in Gedanken versunken zu sein. »Als sich mein Geschlecht gegen die Götter erhob, blieb ich allein.« Pug entging nicht, daß Tomas von seinem Geschlecht sprach; in der Vergangenheit hatte er immer den Namen Ashen-Shugar benutzt. Tomas fuhr fort: »Die Götter waren damals noch jung, erlangten gerade ihre Macht, während die Valheru schon uralt waren. Eine alte Art ging dahin, und eine neue wurde geboren. Doch die Götter waren voller Kraft, zumindest jene, die überlebten. Von den hundert, die Ishap geschaffen hatte, blieben nur sechzehn, die zwölf niedrigeren und die vier großen. Die anderen liegen hier.« Er zeigte noch einmal auf das Gebäude. »Isanda war die Göttin des Tanzes.« Langsam sah er sich um. »Es war die Zeit der Chaotischen Kriege.«
Tomas ging an Pug vorbei und wollte augenscheinlich nicht weiter darüber reden. Auf einem anderen Gebäude war der Name Onanka-Tith eingraviert. Pug fragte: »Wie erklärst du dir das hier?«
Tomas sprach leise, während er weiterging. »Der Frohe Krieger und der Denker der Schlachten waren beide tödlich verwundet, doch indem sie das von ihnen Verbliebene zusammentaten überlebten sie als ein neues Wesen, Tith-Onanka, der Kriegsgott mit den zwei Gesichtern. Hier liegen die Teile von beiden, die nicht überlebt haben.«
Leise bemerkte Pug: »Jedes Mal, wenn ich Zeuge eines so unübertrefflichen Wunders werde, fühle ich mich so ... winzig.«
Nachdem sie lange geschwiegen hatten und an einem weiteren Dutzend Gebäude vorbeigegangen waren, auf denen für Pug unbekannte Namen standen, sagte der Zauberer: »Wieso können die Unsterblichen sterben, Tomas?«
Tomas blickte seinen Freund nicht an, während er sprach. »Nichts währt ewig, Pug.« Dann sah er Pug an, der einen seltsamen Glanz in den Augen seines Gefährten entdeckte, als sei dieser zum Kampf bereit. »Nichts. Unsterblichkeit, Macht, Herrschaft, alles nur Illusionen. Verstehst du nicht? Wir sind nur die Bauern in einem Schachspiel, das wir nicht begreifen.«
Pug ließ seinen Blick durch die uralte Stadt schweifen und betrachtete die seltsame Ansammlung von Gebäuden, die halb mit Lianen überwachsen waren. »Deshalb fühle ich mich ja so klein.«
»Nein, wir müssen nur jemanden finden, der dieses Spiel versteht. Macros.« Er zeigte auf ein riesiges Gebäude, das die anderen wie Zwerge dastehen ließ. Darauf waren vier Namen eingemeißelt: Sarig, Drusala, Eortis und Wodar-Hospur. Tomas sagte: »Das ist das Grabmal der verlorenen Götter.«
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