Midkemia Saga 06 - Des Königs Freibeuter
spöttisch.
»Ich bin kein Prinz. Ich bin nur der Sohn eines niedrigen Adligen.«
»Und er?« fragte Brisa und deutete auf Nicholas.
»Nicky ist weit mehr, als du denkst. Er wird einmal ein wichtiger und mächtiger Mann sein. Bruder des Königs, weißt du.«
»Genau«, meinte Brisa. Ihre Stimme klang ungläubig.
»Ich mache keine Scherze«, sagte Harry »Er ist der jüngste Sohn von Prinz Arutha. Wirklich. Und Marcus ist der Sohn des Herzogs von Crydee.«
»Ziemlich schmutziger Haufen von Adligen, wenn du mich fragst.«
»Nun, du mußt es ja nicht glauben. Aber er wird trotzdem eines Tages mal ein wichtiger Mann sein.«
Brisa schnaubte. »Wenn er diesen Tag erlebt.«
Harry sagte darauf nichts.
Brisa kroch zu Harry heran und schmiegte sich an ihn an. »Komm mir bloß nicht auf falsche Gedanken. Mir ist nur kalt.«
Harry spielte den Beleidigten. »Ach, du brauchst einen Ersatz für Marcus, was?«
Brisa seufzte. »Nein, mir ist nur kalt, und bei dir bin ich außer Gefahr.«
»Jetzt bin ich aber richtig beleidigt«, sagte Harry »Außer Gefahr?«
Brisa küßte ihn flüchtig auf die Wange. »Du bist so charmant, Junker, wie ein dummer kleiner Junge. Nimm’s nicht so schwer. Du wirst es schon noch schaffen.«
Sie kuschelte sich an ihn, und er genoß das Gefühl. Dennoch fühlte er einen Stich. »Dummer Junge?«
Calis und Marcus kamen in dieser Nacht nicht zurück.
Bei Sonnenaufgang ließ Nicholas die Männer aufstehen und weitergehen. Eine Stunde später tauchte Marcus auf und winkte mit den Armen. Nicholas lief zu ihm hin. »Was habt ihr gefunden?«
»Calis hat eine halbe Meile weiter eine Stelle markiert. Wir glauben, da müßte man hochklettern können.«
Nicholas senkte die Stimme. »Wir müssen es heute versuchen. Einige der Männer werden es sowieso nicht mehr schaffen. Wir können nicht länger warten.«
Marcus betrachtete den zerlumpten Haufen der Seeleute und nickte.
Sie brauchten einige Zeit, bis sie Calis erreichten, da die Kranken und Verletzten im tiefen Sand nicht so schnell vorankamen. Calis zeigte auf ein Felsgesims etwa drei Meter über sich. Er machte für Nicholas die Räuberleiter, und dieser stieg hoch. Er zog sich an dem überstehenden Fels hoch. Oben war ein großer Vorsprung, und hinten führte eine kleine Höhle in die Klippen. Marcus half Calis nach oben, und dann reichte Calis Marcus die Hand und zog ihn hoch. Als alle drei auf dem Felsvorsprung standen, fragte Nicholas:
»Die Höhle?«
»Nein«, entgegnete Marcus. »Sie ist nicht tief und führt nirgendwo hin. Sie wird denen Schutz bieten, die zurückbleiben.«
Nicholas sagte: »Niemand wird zurückbleiben.«
Marcus’ Stimme klang gereizt, jedoch nicht vor Wut, sondern vor Niedergeschlagenheit. »Nicholas, einige der Männer können kaum ohne Hilfe gehen. Sie werden hier nicht hochklettern können.«
In der Nähe des Höhleneingangs begann ein schmaler Pfad, der hinter einer Biegung verschwand. Von Nicholas’ Standort aus konnte man nicht sehen, ob er weiter begehbar war. »Wart ihr schon dort oben?«
Calis antwortete: »Ich war oben. Er führt bis zur halben Höhe der Klippe hinaus und endet dort, doch zwei Meter über dem Ende fängt ein Kamin an. Soweit ich sehen konnte, geht der bis ganz oben hinaus.«
»Wie?« fragte Nicholas.
»Das ist der härteste Teil. Aber wenn zwei oder drei von uns hinaufklettern, können wir Seile von oben herunterlassen und diejenigen, die Hilfe brauchen, hochziehen.«
Marcus ergänzte: »Die Schwerverletzten und Kranken werden es trotzdem nicht schaffen – wer auch immer durch diesen Kamin nach oben klettert, muß sich ganz schön anstrengen. Wir können nicht zehn oder fünfzehn Männer über hundert Meter hochziehen. Das halten auch die Seile nicht aus.«
Nicholas fühlte sich hilflos, doch er riß sich zusammen. »Wir tun, was wir können. Zuerst einmal müssen wir alle hier heraufbekommen.«
Die Steine, auf denen sie standen, wurden in der Mittagsglut immer heißer, und der Prinz schickte die Schwachen in den Schutz der Höhle. Er nahm Amos zur Seite und sagte: »Sobald die Klippen im Schatten liegen, steige ich mit Calis und Marcus nach oben.«
»Warum ausgerechnet du?« wollte Amos wissen.
»Falls ich mich nicht sehr irre, sind wir drei die kräftigsten.«
»Aber du hast so etwas noch nie gemacht.«
»Sieh mal, früher oder später muß es jeder von uns versuchen, oder er verfault hier unten am Strand. Wenn ich herunterfalle, vernachlässige ich meine Pflicht
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