Midnight Angel: Dunkle Bedrohung (German Edition)
ins Theater gehen, zumindest nicht mit Genuss. Restaurants waren ein Albtraum, weil dort jedes Missgeschick peinlich wäre. Nur mit Claire oder Suzanne ging sie noch essen.
Man sehe sich nur den heutigen Tag an – ein Spaziergang im Schnee war eine große Sache, erforderte Planung und Zeit und Aufmerksamkeit. Welcher Mann wollte das auf sich nehmen?
Welcher Mann wollte eine Beziehung mit einer behinderten Frau anfangen, mit einer Blinden? Die noch dazu jede Nacht Albträume hatte und mit Dämonen rang? Die mehr weinte als lachte?
Nein, mit Beziehungen war es für sie vorbei. Sie war eine Last. Aber offenbar – was für ein Wunder – nicht für Douglas.
Douglas schien nicht zu bemerken, wie sehr er für sie zurückstecken musste. Kein einziges Mal hatte er Ungeduld gezeigt oder Ärger, nur leidenschaftliches Verlangen nach ihr und den Drang, ihr zu helfen. Er war wirklich wie ein Fels, und nicht nur weil er so groß und muskulös war. Er war immens beruhigend und geduldig. Verlässlich. Er war hier bei ihr, und ihrem Eindruck nach beabsichtigte er zu bleiben.
Ihre seit Monaten verspannten Körperpartien lösten sich allmählich. Sie schaltete die Sorgen im Kopf einfach aus und ließ alles los – ihre Verzweiflung, ihre Trauer. Als würde sie einschwarzes, fauliges Geschwür öffnen. Langsam kehrte die Freude in ihre Seele zurück, und sie empfing sie wie einen alten, lang vermissten Freund. Das war das Glück, hier und jetzt. Sie fühlte die Sonne im Gesicht, zum ersten Mal seit Monaten. Sie hörte schöne Musik im Freien und hatte Douglas, um sich anzulehnen.
Plötzlich bekam die Zukunft einen neuen Glanz. Bisher hatte sie von einem Tag zum anderen gelebt, weil ihr die Zukunft zu schmerzhaft erschienen war, hatte ihren Alltag mit Mühe bewältigt. Jetzt gab es etwas, worauf sie sich freuen konnte. Vielleicht würde Douglas sie zu dem Bach-Konzert am Donnerstagabend begleiten. Vielleicht würde er im Lauf der Woche noch mal mit ihr spazieren gehen, wenn es nicht zu stark schneite. Vielleicht nächsten Sonntag noch mal zum Lawrence Square laufen.
Wenn Liebe eine süße Leidenschaft ist, warum ist sie dann so qualvoll? , sang der Chor gerade.
Allegra lächelte, ohne die Augen aufzumachen, und drehte sich, um Douglas einen Kuss auf die Brust zu geben. Zwar traf sie nur den Nylonstoff seines Parkas, aber das war ihr egal.
Das Lied näherte sich dem Ende. Als der letzte herrliche Ton verklang, klatschten die Leute heftig Beifall. Was für ein Hut wohl diesmal dort am Boden stand? Im Sommer war es ein Zylinder gewesen.
Sie hob das Gesicht zu Douglas. »Ich habe kein Geld bei mir. Kannst du ihnen etwas geben? Sie sind Studenten und wahrscheinlich arm .«
»Sicher, Honey. Ist ein Zwanziger okay ?«
»Oh ja .« Der reichte für Hotdogs und Kaffee für alle. »Danke, Douglas. Das ist wirklich großzügig .«
»Bin gleich wieder da .« Er ließ sie los, um das Geld in den Hut zu werfen.
»Das war ziemlich minderwertig, meine Liebe, aber du hattest ja noch nie ein Ohr für Qualität « , hörte sie Sandersons höhnischen Tenor direkt an ihrem Ohr. Ihr wurde schwarz vor Augen, und ihre Beine gaben nach.
Kowalski legte einen Zwanzigdollarschein in den Bowlerhut zu Füßen der Sänger. Den hatten sie verdient. Sie hatten nicht Allegras Klasse, aber die erreichten schließlich nur wenige. Dennoch war es ein gutes Gefühl, junge Talente zu ermutigen.
Er erkannte sich selbst kaum wieder, und doch schien das seine neue Lebensart zu sein. Er schnaubte angesichts seines neuen Images – Senior Chief Kowalski, der freundliche, einfühlsame Förderer der Jugend.
Als der Geldschein in dem Hut verschwand, sah ihm die Leadsängerin dankend in die Augen, und diese neue, freundliche Ausgabe von Senior Chief Kowalski nickte ihr zu. Nettes Gefühl, dachte er und drehte sich um – gerade in dem Moment als Allegra umkippte.
Ein langer Schritt, und er war bei ihr und fing sie auf.
»Douglas! Oh mein Gott !«
Sie zitterte und war leichenblass.
»Ganz ruhig, Honey, alles ist gut. Ich hab dich. Was ist los? Bist du gestolpert ?«
»Ich … « , keuchte sie und kam nicht weiter. Wenn sie noch ein bisschen heftiger zitterte, würde es ihr die Knochen brechen. Er schlang die Arme um sie, damit sie sich beruhigte und das Zittern etwas nachließ. Sie barg das Gesicht an seinem Arm, als wollte sie sich vor jemandem verstecken.
Sie griff an seinen Kragen und zog ihn herab, um ihm etwas ins Ohr zu flüstern, brachte aber erst mal
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