Midnight Breed 02 - Gefangene des Blutes-neu-ok-10.11.11
auf Tess’ Hals keine Spur einer Verletzung zu sehen war, obwohl
sie sicher war - wirklich absolut todsicher - , dass er mit
rasiermesserscharfen Reißzähnen in ihren Hals gebissen und eine ganze Menge von
ihrem Blut geschluckt hatte.
Und dann war da noch die
unglaubliche Tatsache, dass er vor ihr stehen, sich bewegen und reden konnte,
als hätte das Betäubungsmittel, das ihn bis nächste Woche außer Gefecht setzen
müsste, gar keine Wirkung auf ihn.
Wie war das zu erklären?
Irgendwo draußen jaulten ferne
Polizeisirenen, sie schienen sich dem Stadtteil zu nähern, in dem ihre Klinik
lag. Tess hörte sie, und auch ihr aus dem Irrenhaus ausgebrochener
Geiselnehmer. Er legte leicht den Kopf zur Seite, ließ sie keine Sekunde aus
den whiskyfarbenen Augen. Er lächelte trocken, mit einem fast unmerklichen
Schmunzeln seines breiten Mundes, dann knurrte er einen Fluch.
„Klingt so, als hätte dein
Freund Verstärkung angefordert.“
Tess war zu nervös, um zu
antworten, sie war sich nicht sicher, was ihn provozieren würde, jetzt, wo er
wusste, dass die Polizei auf dem Weg war.
„Tolle Art, einen Abend zu versauen“,
knurrte er, offenbar zu sich selbst. „Wir können die Dinge zwischen uns nicht
so lassen, aber so wie’s aussieht, habe ich vorerst keine andere Wahl.“
Er hob seine Hand an Tess’
Gesicht. Sie schrak vor ihm zurück, wollte seiner Berührung ausweichen,
erwartete einen harten Faustschlag oder eine andere Brutalität. Aber sie fühlte
nur den warmen Druck seiner riesigen Handfläche auf ihrer Stirn.
Er lehnte sich an sie, und sie
spürte, wie seine Lippen leicht wie eine Feder ihre Wange streiften.
„Mach die Augen zu“, murmelte
er.
Und um Tess wurde es Nacht.
„Keine Anzeichen verdächtiger
Aktivitäten, Leute. Wir haben alle Zugänge des Gebäudes überprüft, sieht alles
gut aus.“
„Danke, Officer“, sagte Tess.
Sie kam sich wie eine Idiotin vor, so spät nachts - oder vielmehr so früh
morgens - einen solchen Zirkus veranstaltet zu haben.
Ben stand neben ihr im Büro,
hatte ihr mit einer beschützenden, leicht besitzergreifenden Geste den Arm um
die Schultern gelegt. Er war kurz zuvor angekommen, nachdem Polizeisirenen sie
aus einem ungewöhnlich tiefen Schlaf geweckt hatten. Anscheinend hatte sie noch
bis spät nachts gearbeitet und war am Schreibtisch eingeschlafen. Irgendwie
hatte sie das Telefon heruntergeworfen und die Kurzwahltaste von Bens Nummer
aktiviert. Er hatte die Nummer der Klinik auf seinem Display erkannt und sich
Sorgen gemacht, dass sie irgendwie in Schwierigkeiten war.
Sein prompter Notruf um drei Uhr
morgens schickte eine Funkstreife mit zwei Cops zur Klinik.
Was einen Einbruch oder
spätnächtliche Besucher betraf, so konnten sie keinen Grund zur Beunruhigung
entdecken. Aber sie hatten Shiva gefunden. Einer der Cops hatte sie über die
Herkunft des Tigers befragt, und als Ben darauf bestand, dass er das Tier
gefunden und nicht gestohlen hätte, zeigte sich der Beamte skeptisch. Er räumte
schließlich ein, dass sich Jugendliche in der Halloweennacht besonders gern
Werbemaskottchen für dumme Streiche aussuchten, und Ben versicherte ihm sofort,
dass das auch bei Shiva der Fall gewesen sein musste.
Ben hatte wirklich Glück, nicht
in Handschellen zu landen.
Wie es aussah, war er mit einer
Verwarnung davongekommen sowie der Anweisung, Shiva am Morgen umgehend seinem
rechtmäßigen Eigentümer, dem Inhaber der Waffenhandlung, zurückzubringen, damit
kein falscher Eindruck entstand und womöglich noch Anklage erhoben werden
musste.
Tess wand sich unter dem Gewicht
von Bens Arm heraus und streckte dem Beamten die Hand hin. „Noch mal vielen
Dank, Officer, dass Sie vorbeigekommen sind. Kann ich Ihnen vielleicht einen
heißen Kaffee oder Tee anbieten? Ich habe beides da, es dauert nur ein paar
Minuten.“
„Nein, vielen Dank, Ma’am.“ Das
Funkgerät des Polizisten begann zu rauschen, dann gab die Zentrale eine
kodierte Reihe neuer Anweisungen durch. Er sprach in ein Mikrofon, das er am
Revers trug, und gab für die Tierklinik Entwarnung durch.
„Dann wären wir hier fertig.
Passen Sie gut auf sich auf. Und, Mr. Sullivan, ich gehe davon aus, dass Sie
den Tiger dahin zurückbringen, wo er hingehört.“
„Jawohl, Sir.“ Bens breites
Lächeln wirkte doch etwas angespannt, als er die dargebotene Hand des Cops
ergriff und kurz schüttelte.
Sie brachten die Polizisten zur
Tür und sahen zu, wie der Einsatzwagen wendete und hinaus auf die
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