Midnight Breed 02 - Gefangene des Blutes-neu-ok-10.11.11
anvertrauen, ihm von ihrer
einzigartigen, verfluchten Begabung erzählen - ihm alles erzählen - , und das
machte ihr Angst.
„Tess?“ Dante kam ihr nach, ein
Handtuch um die Hüften geschlungen. „Was ist los?“
„Nichts.“ Sie schüttelte den
Kopf, zwang sich zu einem Lächeln, das ein bisschen verkniffen geriet. „Alles
in Ordnung, wirklich. Möchtest du irgendetwas? Wenn du hungrig bist, da ist
noch Hühnchen vom Abendessen. Ich könnte …“
„Ich möchte, dass du mit mir
sprichst.“ Er nahm sie bei den Schultern, um sie festzuhalten. „Sag mir, was
los ist. Sag mir, worum es hier geht.“
„Nein.“ Sie schüttelte den Kopf
und überlegte verzweifelt, wie sie ihr Geheimnis und ihre Schande für sich
behalten konnte. „Ich bin einfach … du würdest es nicht verstehen, klar? Ich
erwarte auch gar nicht von dir, dass du das verstehst.“
„Probier es aus.“
Tess wollte seinem
durchdringenden Blick ausweichen, brachte es aber nicht fertig. Er steckte die
Hand nach ihr aus, und ein Teil von ihr sehnte sich verzweifelt danach, etwas
Dauerhaftes und Starkes zu ergreifen. Etwas, das sie nicht fallen lassen würde.
„Ich hatte geschworen, es nie
wieder zu tun, aber ich …“
O Gott. Sie war nicht
wirklich dabei, dieses hässliche Kapitel ihres Lebens für ihn aufzuschlagen,
oder doch?
Es war schon so lange ihr
Geheimnis. Sie hatte es wild verteidigt, hatte gelernt, es zu fürchten. Die
beiden einzigen Menschen, die die Wahrheit über ihre Begabung kannten - ihr
Stiefvater und ihre Mutter - , waren tot. Es war ein Teil ihrer Vergangenheit,
und die lag meilenweit hinter ihr.
Dort begraben, wo sie
hingehörte.
„Tess.“ Dante führte sie zum
Sofa und setzte sie neben Harvard, der sofort voller Begeisterung
schwanzwedelnd auf ihren Schoß kletterte. Dante setzte sich neben sie und
streichelte ihre Wange. Seine Berührung wirkte so zärtlich, dass sie unfähig
war, sich dagegen zu sträuben, und sie schmiegte sich unwillkürlich an ihn. „Du
kannst mir alles erzählen. Du bist bei mir sicher, Tess, ich verspreche es
dir.“
Sie wollte es so gern glauben.
Heiße Tränen liefen ihr über das Gesicht. „Dante, ich …“
Stille dehnte sich zu endlosen
Sekunden. Ihre Stimme versagte den Dienst. Sie holte tief Luft, beugte sich zu
Dantes rechtem Oberschenkel und legte den Einstich bloß. Sie blickte ihn an und
legte ihre Handfläche auf die ungenäht klaffende Wunde.
Sie konzentrierte all ihre
Gedanken, all ihre Energie, bis sie fühlte, dass der Heilungsprozess einsetzte.
Dantes verletzte Haut begann
sich zusammenzuziehen und verdichtete sich. Die Wunde schloss sich so nahtlos,
als wäre sie nie da gewesen.
Nach einigen Augenblicken zog
sie die Hand weg und barg ihre kribbelnde Handfläche dicht an ihrem Körper.
„Mein Gott“, sagte Dante leise,
die dunklen Brauen zusammengezogen, sodass sich eine steile Falte auf seiner
Stirn bildete.
Tess starrte ihn an, unsicher, was
sie sagen oder wie sie erklären sollte, was sie gerade getan hatte. Sie wartete
schweigend auf eine Reaktion von ihm. Wie sollte sie seine Äußerung einordnen?
Er strich mit seinen Fingern
über die glatte, narbenlose Haut und sah Tess an. „Arbeitest du so in der
Klinik, Tess?“
„Nein.“ Sie stritt es hastig ab
und schüttelte energisch den Kopf. Die Unsicherheit, die sie gerade noch
empfunden hatte, schlug um in Angst, was Dante jetzt von ihr denken würde.
„Nein, das tue ich nicht - niemals.
Na ja … ich hab eine Ausnahme gemacht, als ich Harvard behandelt habe, aber das
war das einzige Mal.“
„Was ist mit Menschen?“
„Nein“, erwiderte sie. „Nein,
ich habe nie …“ Sie brach ab.
„Du hast deine Berührung nie bei
einer Person angewendet?“
Tess stand auf. Kalte Panik
überschwemmte sie, als sie an das letzte Mal vor dieser überstürzten
Demonstration an Dante dachte - das verfluchte letzte Mal, als sie ihre Hände
auf einen anderen Menschen legte. „Meine Berührung ist ein Fluch. Ich wünschte,
ich hätte diese Fähigkeit überhaupt nicht.“
„Es ist kein Fluch, Tess. Es ist
eine Gabe. Eine sehr außergewöhnliche Gabe. Herrgott, wenn ich daran denke, was
du alles tun könntest …“
„Nein!“ Sie schrie die Ablehnung
heraus, bevor sie sie runterschlucken konnte. Ihre Füße trugen sie ein paar
Schritte weg von Dante, der jetzt ebenfalls aufgestanden war. Er starrte sie
mit einer Mischung aus Verwirrung und Besorgnis an. „Ich hätte das nicht tun
sollen. Ich hätte es
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