Midnight Breed 03 - Geschöpf der Finsternis-neu-ok-13.11.11
schien aber mehr wie ein
düsteres Begreifen. Mit einem wütenden Aufknurren schüttelte er Tess’
Hand ab. „Man sollte mich
einschläfern. Das wäre ein Segen …
für alle, besonders für mich.
Ich bin nutzlos. Dieser Körper - mein Verstand - alles nutzlos geworden,
verdammt noch mal!“
Rio knallte die Faust auf die
Kredenz, brachte die Spiegelscherben zum Klirren und das zweihundert Jahre alte
Mahagoni zum Beben.
Tess zuckte zurück, aber in
ihren blaugrünen Augen lag Entschlossenheit. „Du bist nicht nutzlos. Um
zu heilen, braucht es Zeit, das ist alles. Du kannst jetzt nicht aufhören.“
Rio knurrte böse vor sich hin,
in seinen halb geschlossenen Augen lag ein warnender bernsteingelber Glanz.
Aber nicht einmal das wilde Wutgeheul eines halb wahnsinnigen Vampirs konnte
Tess davon abbringen, ihm zu helfen, wenn sie dazu in der Lage war. Zweifellos
hatte sie dieses widerborstige Verhalten schon öfters an Rio - und
wahrscheinlich auch an ihrem eigenen Gefährten - gesehen, und war nicht vor
Schreck davongerannt.
Tegan sah Tess zu, wie sie
aufrecht, ruhig und beharrlich dastand. Es fiel ihm nicht schwer, sich
vorzustellen, warum Dante sie so vergötterte. Aber Tegan konnte auch sehen,
dass sich Rio in einem besonders labilen, unberechenbaren Zustand befand.
Er wollte niemandem etwas Böses -
und schon gar nicht Tess, deren außerordentliche Heilerinnengabe ihn vor einer
Psychose bewahrt hatte -, aber Wut und Verzweiflung waren ein gefährlicher
emotionaler Cocktail. Das wusste Tegan aus erster Hand, vor langer Zeit hatte
er Ähnliches durchgemacht. Wenn man noch die Nachwirkungen einer traumatischen
Gehirnverletzung, wie Rio sie erlitten hatte, dazunahm, war es nur eine Frage
der Zeit, bis der Krieger in die Luft ging wie eine angezündete Stange Dynamit.
„Lass mich das machen“, sagte
Tegan, als Tess Anstalten machte, sich Rio erneut zu nähern. „Ich nehme ihn mit
runter ins Hauptquartier. Da wollte ich sowieso gerade hin.“
Sie schenkte ihm ein
vorsichtiges Lächeln. „In Ordnung.
Danke dir.“
Tegan näherte sich Rio mit
zielstrebigen Bewegungen und führte ihn vorsichtig von der Frau fort und aus
dem Trümmerfeld hinaus, das sich um ihre Füße ausbreitete. Der große Mann ging
mit schweren Schritten, ohne die natürliche Grazie, die er einst besessen
hatte. Rio stützte sich schwer auf Tegans Schulter und Arm, sein nackter
Oberkörper hob und senkte sich schwer mit jedem Atemzug, den er mühsam in seine
Lungen sog.
„So ist’s gut, immer schön
langsam“, wies Tegan ihn an.
„Fühlen wir uns schon besser, amigo ?“
Der dunkle Kopf nickte
unbeholfen.
Tegan sah zu Tess hinüber, wie
sie sich hinkniete und anfing, die verstreuten Glas- und Porzellanscherben von
den Fliesen des Foyers einzusammeln. „Hast du Chase heute Abend schon gesehen?“
„Schon länger nicht“, meinte
sie. „Er und Dante sind immer noch draußen auf Patrouille.“
Tegan verzog spöttisch das
Gesicht. Vor vier Monaten waren die beiden Männer einander noch fast an die
Kehle gegangen.
Lucan hatte die beiden als
unfreiwillige Partner zusammengespannt, als Sterling Chase, Agent der Dunklen
Häfen, mit der Neuigkeit von einer gefährlichen Clubdroge namens Crimson im
Hauptquartier aufgetaucht war und den Orden um Hilfe gebeten hatte, das üble
Zeug von der Straße und aus dem Handel zu bringen. Inzwischen waren er und
Dante draußen im Feld praktisch unzertrennlich, seit dem Tag, an dem Chase die
Dunklen Häfen verlassen hatte und offiziell dem Orden beigetreten war.
„Die beiden haben schon was von
Stan und Ollie, nicht?“
In Tess’ Augen lag Belustigung,
als sie von dem Chaos vor ihr auf dem Boden aufsah. „Eher was von Chico und
Groucho von den Marx-Brothers, wenn du mich fragst.“
Tegan stieß ein trockenes Lachen
aus und steuerte Rio den Korridor hinunter. Er führte ihn zum Fahrstuhl des
Anwesens, ging mit ihm hinein und tippte den Sicherheitscode ein, um die Reise
zum unterirdischen Hauptquartier des Ordens anzutreten.
Nachdem er Rio in seiner Wohnung
im Hauptquartier abgeladen hatte, ging Tegan zum Techniklabor, um sich
zurückzumelden. Gideon saß wie üblich auf seinem Posten. Der blonde Vampir
rollte auf seinem Bürostuhl hin und her und übte seine Zauberkräfte auf nicht
weniger als vier verschiedenen Computerterminals gleichzeitig aus. Ein
schnurloses Headset am Ohr, gab er eben eine Reihe Koordinaten über das kleine
Mikrofon durch.
Als perfekter Multitasker sah
Gideon auf,
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