Midnight Breed 04 - Gebieterin der Dunkelheit-neu-ok-14.11.11
ihm die Kehle hinauf, gerade noch hielt er ein höhnisches Schnauben
zurück. Stattdessen streckte er die Hand aus und streichelte ihre Wange. „Hast
du immer versucht, dich um alle Welt zu kümmern, bevor du auf dich selbst
achtest?“
Ihr
Stirnrunzeln vertiefte sich. „Um mich muss man sich nicht kümmern. Das habe ich
schon seit sehr langer Zeit nicht mehr nötig.“
„Wie lange,
Dylan?“
„Schon
immer.“
Als sie das
sagte, hob sich ihr Kinn ein wenig, und Rio konnte sich gut vorstellen, wie
Dylan als sommersprossiges kleines Mädchen störrisch jede Hilfe zurückgewiesen
hatte, egal, wie nötig sie sie gehabt hatte. Als erwachsene Frau war sie immer
noch so. Trotzig, stolz. Sie hatte solche Angst davor, verletzt zu werden.
Diese Art
von Angst kannte er selbst auch. Seit seiner Kindheit war es ihm ähnlich
gegangen. Es war ein einsamer Lebensweg, und fast hätte er ihn selbst nicht
überlebt. Aber Dylan war in so vieler Hinsicht stärker als er. Erst jetzt
erkannte er, wie stark sie wirklich war. Und wie allein.
Er erinnerte
sich, dass sie nebenbei Geschwister erwähnt hatte - zwei Brüder, beide nach
Rockstars benannt, aber nie hatte er sie von ihrem Vater reden hören. Es schien
so, als bestünde ihre ganze Familie lediglich aus der Frau, die momentan auf
der Krebsstation des Krankenhauses weiter unten an der Straße lag. Die Familie,
die sie vermutlich schon bald verlieren würde. „Ihr seid schon eine ganze Weile
nur zu zweit gewesen?“, fragte er.
Sie nickte.
„Mein Vater ging, als ich zwölf war - er hat uns verlassen.
Wenig später
haben sie sich dann scheiden lassen und Mom hat nicht wieder geheiratet. Nicht
dass es ihr an Interesse gefehlt hätte.“ Dylan lachte, auf, aber es klang
traurig. „Meine Mom ist immer etwas unstet gewesen, hat sich immer wieder in
einen neuen Mann verliebt und mir geschworen, dass sie dieses Mal endlich den
Richtigen gefunden hätte.
Ich glaube,
sie ist in den Zustand des Verliebtseins verliebt. Momentan ist sie verknallt
in den Mann, dem die Stiftung für Straßenkids gehört, wo sie arbeitet. Mein
Gott, sie hat so viel Liebe zu geben, selbst wo der Krebs ihr so viel nimmt...“
Rio ließ
seine Finger ihren Arm hinuntergleiten, als sie mit dem plötzlichen Stocken in
ihrer Stimme kämpfte. „Was ist mit deinem Vater? Seid ihr in Kontakt, hast du
ihn wissen lassen, wie die Lage ist?“
Sie stieß
ein verächtliches Schnauben aus. „Das wäre ihm egal, selbst wenn ich wüsste, wo
er steckt und er nüchtern genug wäre, um mir zuzuhören. Seine Familie hat ihm
nur etwas bedeutet, wenn wir ihm aus der Patsche geholfen oder ihm geholfen
haben, an mehr Alk und Drogen zu kommen.“
„Klingt wie ein
echtes Arschloch“, sagte Rio, angesichts von Dylans Schmerz flammte Wut in
seinem Bauch auf. „Zu schade, dass er fort ist.
Den
Hundesohn würde ich mir gern mal vornehmen.“
„Willst du
wissen, warum er uns verlassen hat?“
Er strich
ihr übers Haar, sah, wie das Kerzenlicht über die glänzenden Wellen spielte.
„Nur wenn du's mir erzählen willst.“
„Es war
meine ,Gabe', wie du sie nennst. Meine übernatürliche Fähigkeit, Tote zu
sehen.“ Dylan fuhr mit dem Finger eine seiner Glyphen nach, während sie redete
und an diese unangenehme Zeit in ihrem Leben zurückdachte. „Als ich klein war,
Grundschulalter und kleiner, schenkten meine Eltern dem nicht viel Beachtung,
dass ich mich gelegentlich mit unsichtbaren Personen unterhielt. Es ist nicht
so ungewöhnlich, dass Kinder unsichtbare Freunde haben, also haben sie einfach
darüber hinweggesehen. Und bei all den Streitereien und Problemen bei uns zu
Hause hörten sie sowieso nicht allzu viel von dem, was ich sagte. Nun, einige
Jahre später änderte sich das. In einem seiner seltenen nüchternen Momente
bekam mein Vater mein Tagebuch in die Hände. Ich hatte ab und zu darüber
geschrieben, dass ich diesen toten Frauen begegnet war und dass ich hören
konnte, wie sie mit mir redeten. Ich versuchte, zu verstehen, was das war, warum
mir das passierte - was es bedeutete, weißt du? Aber er sah es als eine
Gelegenheit, Kohle mit mir machen.“
„Du liebe
Zeit.“ Rio verachtete diesen Mann immer mehr. „Kohle mit dir machen, wie das
denn?“
„Er behielt
einen Job nie für länger und suchte immer nach Möglichkeiten, einen schnellen
Dollar zu machen. Er dachte, wenn er Leute dafür bezahlen ließ, dass sie mit
mir reden durften - Leute, die einen geliebten Menschen verloren hatten und
hofften,
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