Midnight Breed 05 - Gefaehrtin der Schatten-neu-ok-15.11.11
wirklich zu wissen, wohin, bis sie sich irgendwann in vertrauter Umgebung
wiederfand. Sie hatte nie gedacht, dass sie einmal hierher zurückkommen würde.
Und mit Sicherheit nicht so.
Das alte
Innenstadtviertel hatte sich in den zwei Jahren, die sie schon fort war, kaum
verändert. Überfüllte Mietshäuser und bescheidene Bungalows aus der Zeit nach
dem Zweitem Weltkrieg säumten die Straße, die im abendlichen Zwielicht vor ihr
lag. Ein paar Jugendliche, die aus dem kleinen Lebensmittelgeschäft an der Ecke
kamen, sahen dem fremden Lastwagen nach, als Renata vorüberfuhr.
Sie erkannte
keinen von ihnen und auch keinen von den ausgemergelten Erwachsenen mit dem
leeren Blick, die sich auf diesem Stück Asphalt häuslich eingerichtet hatten.
Aber Renata suchte hier draußen nicht nach vertrauten Gesichtern. Es gab nur
eine Person, von der sie betete, dass sie immer noch hier war. Eine einzige
Person, der sie vertrauen konnte, die ihr helfen konnte, ohne groß Fragen zu
stellen.
Als sie vor
einem niedrigen, gelben Bungalow mit einem Spalier voller rosafarbenen Rosen an
der Vorderseite hielt, wurde ihr seltsam eng in der Brust. Jack war noch da;
Annas geliebte Rosen, sorgfältig gepflegt und üppig gedeihend, waren Beweis genug.
Wie auch das kleine schmiedeeiserne Schild, das Jack selbst gemacht und neben
der Eingangstür des fröhlichen Hauses aufgehängt hatte. Bei Anna stand
darauf.
Renata ließ
den Lastwagen langsam vor der Haustür am Bordstein ausrollen und stellte den Motor
ab, starrte auf das kleine Übergangsheim für obdachlose Jugendliche, zu dem sie
so oft gegangen war, ohne es jedoch zu betreten. Drinnen waren die Lichter an
und verströmten einen einladenden goldenen Schein. Es musste fast
Abendessenszeit sein, denn durch das riesige Panoramafenster auf der
Vorderseite konnte sie sehen, dass zwei Teenager - Jacks Klienten, obwohl er es
vorzog, sie seine „Kids" zu nennen - gerade den Tisch fürs Abendessen
deckten.
„Verdammt",
murmelte sie leise, schloss die Augen und lehnte ihre Stirn gegen das Lenkrad.
Das war
nicht richtig. Sie sollte nicht hier sein. Nicht jetzt, nach all dieser Zeit.
Nicht mit diesen Problemen. Und definitiv nicht mit dem Problem, das sie
momentan hinten in ihrem Laster spazierenfuhr.
Nein, sie
musste allein damit fertig werden. Den Motor anwerfen, den Lastwagen wenden und
ihr Glück auf der Straße versuchen. Hölle noch mal, das war doch schließlich
nichts Neues für sie. Aber Nikolai war in schlechter Verfassung, und auch sie
war nicht gerade in Bestform. Sie wusste nicht, wie lange sie noch weiterfahren
konnte, bevor ..
„'n
Abend."
Die
freundliche Stimme mit dem unverkennbar texanischen Akzent ertönte direkt neben
ihr am offenen Fenster der Fahrerkabine. Sie hatte ihn nicht kommen sehen, aber
jetzt konnte sie ihm nicht mehr aus dem Weg gehen. „Kann ich Ihnen helfen mit
... irgendwas ..."
Jacks Stimme
verstummte, als Renata den Kopf hob und ihm ihr Gesicht zuwandte. Sein Haar war
etwas grauer geworden, als sie es in Erinnerung hatte, sein kurzer, militärischer
Bürstenschnitt wirkte schütterer, seine Wangen etwas runder als damals, als sie
ihn das letzte Mal gesehen hatte. Aber er war immer noch ein freundlicher Bär
von einem Mann, über einen Meter achtzig groß und gebaut wie ein Panzer, und
das, obwohl er schon fast siebzig war.
Renata
hoffte, dass ihr Lächeln besser aussah als die schmerzverzerrte Grimasse, die
es war. „Hi, Jack."
Er starrte
sie an - mit offenem Mund. „Na, da soll mich doch", sagte er und
schüttelte langsam den Kopf. „Ist lange her, Renata. Ich hatte gehofft, du
hättest irgendwo ein gutes Leben gefunden ... als du vor ein paar Jahren nicht
mehr gekommen bist, habe ich mir Sorgen gemacht, dass vielleicht ..."
Er vermied
es, den Gedanken zu Ende zu führen, und schenkte ihr stattdessen sein übliches
breites Grinsen.
„Also,
verdammt noch mal, ist ja völlig schnurz, über was ich mir Sorgen gemacht habe,
denn da bist du ja."
„Ich kann
nicht bleiben", stieß sie hervor, und ihre Finger packten den
Zündschlüssel, um den Motor anzuwerfen. „Ich hätte nicht herkommen
sollen." Jack runzelte die Stirn.
„Zwei Jahre,
nachdem ich dich das letzte Mal gesehen habe, tauchst du einfach so aus
heiterem Himmel auf, nur um mir zu sagen, dass du nicht bleiben kannst?"
„Tut mir
leid", murmelte sie. „Ich muss los."
Er legte die
Hände auf das offene Fenster des Lastwagens, als wollte er sie durch bloße
Kraft am Wegfahren
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