Midnight Breed 05 - Gefaehrtin der Schatten-neu-ok-15.11.11
ihrem
inneren Auge durchlebte Renata das Grauen in all seinen entsetzlichen
Einzelheiten aufs Neue. Immer noch konnte sie die Schreie der fliehenden Opfer
hören und das schaurige Heulen der Raubtiere, die sie in wilder Gier jagten.
Immer noch
konnte sie den sommerlichen Duft von würzigen Kiefern und lehmigem Moos
riechen, Naturgerüche, die nur zu bald durch die von Blut und Tod erstickt
wurden. Immer noch konnte sie diese weite Dunkelheit vor sich sehen, die sie
auf dem unvertrauten Gelände umgab, unsichtbare Äste, die ihr gegen die Wangen
schlugen und an ihren Kleidern zerrten, als sie versuchte, sich ihren Weg durch
die Dunkelheit zu bahnen.
„Keiner von
euch hatte eine Chance", murmelte Nikolai.
„Sie haben
euch befohlen zu rennen, weil sie mit euch spielen wollten. Um sich selbst die
Illusion zu geben, dass Blutclubs etwas mit Sport zu tun haben."
„Das weiß
ich inzwischen." Renata erinnerte sich nur allzu deutlich daran, wie
vergeblich das Rennen gewesen war. Das Entsetzen war in Gestalt von glühenden,
bernsteinfarbenen Augen und gebleckten, blutverschmierten Fangzähnen aus der
schwarzen Nacht gekommen, schlimmer als alles, was sie in ihren schlimmsten
Albträumen gesehen hatte. „Einer von ihnen hat mich eingefangen. Er kam aus dem
Nichts und hat angefangen, mich einzukreisen, machte sich zum Angriff bereit.
Ich habe noch nie größere Angst gehabt. Ich hatte Angst, war wütend, und
irgendwas in mir ist einfach ..
gerissen.
Ich habe eine Kraft gespürt, die mich durchströmte, etwas Stärkeres als das
Adrenalin, das durch meinen Körper geschossen war."
Nikolai
nickte. „Du hast nichts von deiner Gabe gewusst."
„Bis zu
dieser Nacht hatte ich von vielen Dingen keine Ahnung. Die Welt stand Kopf. Ich
wollte einfach nur überleben - das Einzige, was ich wirklich konnte. Als ich
also diese Energie spürte, die da durch mich floss, sagte mir irgendein
Instinkt, dass ich sie auf meinen Angreifer richten musste. Ich habe sie kraft
meines Willens nach außen gelenkt, und der Vampir taumelte nach hinten, als
hätte ich ihm einen körperlichen Schlag versetzt. Ich habe mehr auf ihn
abgefeuert und noch mehr, bis er schreiend am Boden lag und Blut aus seinen
Augen lief und sein ganzer Körper vor Schmerzen zuckte." Renata hielt inne
und fragte sich, ob der Stammeskrieger, der sie schweigend anstarrte, sie wohl
dafür verurteilte, dass ihr jedes Bedauern über diese Tat abging. Sie würde
keine Abbitte leisten oder sich entschuldigen. „Ich wollte, dass er leidet,
Nikolai. Ich wollte ihn töten, und ich habe es getan."
„Was ist
dir anderes übrig geblieben?", sagte er, streckte die Hand aus und fuhr
ihr sehr sanft mit den Fingerspitzen über die Wange. „Was ist mit Jakut? Wo war
er während der ganzen Sache?"
„Nicht weit
hinter mir. Ich war wieder losgerannt, da schnitt er mir den Weg ab. Ich habe
versucht, auch ihn zu beschießen, aber es hat ihm nichts ausgemacht. Ich habe
ihm alles verpasst, was ich hatte, bis ich vor Erschöpfung fast
zusammengebrochen bin, aber es war nicht genug. Er war zu stark."
„Weil er Gen
Eins war."
Renata
neigte zustimmend den Kopf. „Er hat es mir später erklärt, nachdem der erste
Anfall des Rückstoßes meiner Gabe mich für drei ganze Tage ausgeknockt hatte.
Als ich aufgewacht bin, fand ich mich als persönlicher Bodyguard eines Vampirs
wieder, ob es mir nun passte oder nicht."
„Hast du nie
versucht zu fliehen?"
„Am Anfang
schon. Und nicht nur einmal. Er hat nie lange gebraucht, um mich
aufzuspüren." Sie tippte mit ihrem Zeigefinger gegen die Vene an der Seite
ihres Halses. „Schwer, weit zu kommen, wenn dein eigenes Blut für deinen
Verfolger besser funktioniert als jedes Navigationssystem. Er hat mein Blut als
Versicherung für meine Loyalität benutzt. Es war eine Fessel, die ich nicht
abstreifen konnte. Ich wusste, ich würde mich nie davon befreien können."
„Jetzt bist
du frei, Renata."
„Ja, das bin
ich wohl", sagte sie, und ihre Antwort klang so hohl, wie sie sich anfühlte.
„Aber was ist mit Mira?"
Nikolai
starrte sie einen langen Augenblick an und sagte nichts. Sie wollte den Zweifel
in seinen Augen nicht sehen, genauso wenig, wie sie leere Versprechungen
wollte, dass sie etwas für Mira tun konnten, jetzt, da sie in Feindeshand war.
Schon gar nicht jetzt, da sie durch ihre Verletzung geschwächt war.
Nikolai
wandte sich zu der weißen Badewanne mit den Klauenfüßen und drehte die beiden
Wasserhähne auf. Als Wasser in die
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