Midnight Breed 06 - Gesandte des Zwielichts-neu-ok-16.11.11
„Es ist wegen der Pyro“,
murmelte er undeutlich. „Das Feuer lässt nach... und dann setzt der Bluthunger
ein. Passiert jedes Mal.“
„Und jedes Mal wird der Hunger schlimmer“,
sagte Tegan, eindeutig eher feststellend als fragend.
„Scheiße, Reichen. Die Pyro ist wohl der
Auslöser, aber was du da spürst, sind die ersten Symptome von Blutgier, Mann.
Bis jetzt hast du die letzte Klippe noch nicht überschritten, aber du bist
verdammt nah dran. Und du weißt verdammt gut, was mit dir los ist, hab ich
recht?“
Reichen war in Versuchung, es mit einem
Kopfschütteln abzustreiten, aber Tegan war kein Idiot.
Als er in das Gesicht des Kriegers blickte, sah
er darin Niedergeschlagenheit und Verständnis. Verdammt, er sah einen Mann, der
diesen überwältigenden Durst schon am eigenen Leib gespürt hatte. Und so ernst,
wie er ihn anschaute, suchten ihn anscheinend selbst Erinnerungen an eine noch
viel stärkere Blutabhängigkeit heim als die, gegen die Reichen jedes Mal
ankämpfte, wenn seine Pyrokinese ihn überkam.
Er hätte Tegan gern gefragt, wie er sie
bekämpft hatte, wie er gegen den heftigen Durst obsiegt hatte, der selbst die
stärksten Stammesangehörigen in grausame Killer verwandeln konnte. Doch da
krampfte sich sein Bauch wieder anfallartig zusammen. Im Rhythmus der
spastischen Schmerzen fletschte er die Zähne, Arme und Beine krampften sich
zusammen und krümmten sich gegen seinen Leib.
„Durchatmen“, befahl Tegan. „Du musst stärker
sein als der Durst. Er darf nicht Besitz von dir ergreifen.“
Reichen gehorchte. Er hätte jeden Rat befolgt,
der ihm etwas Linderung von dieser Tortur verschaffte. Es dauerte ein paar
Minuten, bis das Schlimmste vorüber war. Als es so weit war, nickte er schwach,
erleichtert über die kleine Ruhepause, die auf den Schmerz folgte.
„Erzähl mir von der Pyrokinese“, sagte Tegan,
als Reichen schnaubte und sich mühsam aufsetzte. „Wie bist du bis jetzt so gut
damit fertig geworden?
Herrgott, da kennen wir uns nun mit ein paar
Unterbrechungen schon ein fast ein paar Jahrhunderte und ich hatte keinen
Schimmer von deiner Fähigkeit.“
„Ich bin nicht sonderlich stolz drauf, murmelte
Reichen, was so ziemlich die größte Untertreibung seines Lebens war.
Tegan blickte ernst, aber nicht verurteilend.
„Glaubst du vielleicht, ich hätte nie etwas
getan, das ich bedauere? Es ist schon schwer, nur ein Jahr zu überstehen, ohne
irgendwen oder irgendwas unabsichtlich zu verletzen. Wenn ich anfange, dir zu
erzählen, was ich schon alles an Scheiße gebaut habe und am liebsten
ungeschehen machen würde... glaub mir, dafür reicht die Zeit nicht. Also,
schieß einfach los. Erzähl mir von der Pyro.“
Vielleicht war es nur eine Ablenkungstaktik des
Kriegers, um ihn zum Reden zu bringen, statt auf die nächste Schmerzattacke zu
warten. Doch was auch immer Tegans Motive waren, Reichen ertappte sich dabei,
wie er ihm erklärte, dass er die meiste Zeit seines Lebens keine Ahnung von dem
Fluch gehabt hatte, der in ihm lauerte. Er erzählte Tegan, wie es dazu gekommen
war, dass er das Feuer erstmals entdeckte - durch Roths Verrat vor knapp
dreißig Jahren. Und wie entsetzt er gewesen war, als er bei diesem
entsetzlichen ersten Mal erkannt hatte, was seine pyrokinetische Hitze mit
jedem anstellen würde, der so unvorsichtig war, in seine Nähe zu kommen.
„Ich habe ein unschuldiges kleines Mädchen
umgebracht, Tegan. In Sekundenschnelle war sie so verkohlt, dass sie nicht mal
mehr als menschliches Wesen zu erkennen war.“ Er fühlte sich durch und durch
krank - aber nicht wegen des Bluthungers, sondern wegen seines abgrundtiefen
Selbstekels, der nicht schwächer geworden war und es vielleicht nie werden
würde. „Danach war ich entschlossen, diese Fähigkeit nie wieder zum Vorschein
kommen zu lassen. Und daran habe ich verdammt hart gearbeitet. Dann hat Roth
dieses Todeskommando in meinen Dunklen Hafen geschickt, und ich konnte nichts
tun, um die Feuer zurückzuhalten. Er hat mir alles und jeden genommen, der mir
etwas bedeutet hat.“
„Fast jeden“, sagte Tegan, und seine
unerschrockenen smaragdgrünen Augen blickten verschmitzt. „Wie lange bist du
schon in Claire verliebt?“
Reichen stieß einen tiefen Seufzer aus. „So
lange, dass ich mich gar nicht mehr daran erinnere, wie es sich anfühlt, nicht
in sie verliebt zu sein.“
„Du hast von ihr getrunken, stimmt's?“
Er nickte, hielt es für sinnlos, es
abzustreiten.
„Wie war das nach der Pyro?
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