Midnight Breed 06 - Gesandte des Zwielichts-neu-ok-16.11.11
um, würgte an der kühlen
Nachtluft und ihrem eigenen Gefühlschaos. Ihr Haus stand in Flammen. Es hatte
noch mehr Todesopfer gegeben.
Sie wollte schreien, doch im tiefsten Winkel
ihres Herzens spürte sie nur selbstsüchtige, bodenlose Erleichterung darüber,
dass Andreas immer noch lebte.
Sie drehte den Kopf, um ihn anzusehen. Durch
ihre aufsteigenden Tränen nahm sie seine riesenhafte helle Gestalt nur
schemenhaft wahr. Wie oft hatte sie sich in den letzten Monaten gewünscht, dass
er noch am Leben war? Wie viele Tränen hatte sie insgeheim für ihn und seine
umgekommene Familie vergossen?
Was auch immer Andreas ihr sagte, sie konnte
einfach nicht glauben, dass Wilhelm mit der Zerstörung von Andreas' Dunklem
Hafen etwas zu tun hatte. Sie hoffte von ganzem Herzen, dass seine
Anschuldigungen falsch waren.
Aber jetzt, nach allem, was heute Nacht hier
geschehen war, hatte sich Zweifel wie ein spitzer Stein unter ihre Haut
gebohrt. Und sie wusste, dass sie keine Ruhe finden würde, solange sie nicht
Gewissheit über Wilhelms Schuld oder Unschuld hatte. Mehr denn je musste sie
verstehen, was für eine Art Mann Wilhelm Roth wirklich war.
„Bist du okay?“, fragte Andreas, als sie ihre
nassen Augen wischte und auf die Füße kam. Claire nickte, doch innerlich fühlte
sie sieh wie betäubt, und ihr Magen war zunehmend in Aufruhr.
„Er hätte dich heute Nacht umbringen lassen“,
murmelte sie. „Ich habe es nicht gewusst, Andreas. Ich schwöre dir, ich habe es
nicht gewusst.“
Schweigend starrte er sie an, beobachtete sie
durch den pulsierenden Feuerschein, der immer noch seinen Körper umhüllte. Er
war verletzt und blutete, seine Hitze hatte ihn zum Monster gemacht, und alles
wegen Wilhelm. Und wegen ihr. Jetzt bereute sie bitter, Wilhelm kontaktiert zu
haben, auch wenn sie es ihm als seine Stammesgefährtin schuldig gewesen war.
Sie hatte damit Andreas' Todesurteil praktisch eigenhändig unterzeichnet.
„Sie werden bald mehr Agenten schicken“, sagte
sie. „Wenn diese Einheit sich nicht bei Wilhelm zurückmeldet, wird er nur mehr
hinterherschicken, um dich zu finden.“
„Ja“, sagte Andreas, seine Stimme war
ausdruckslos und voll grimmiger Ergebenheit. „Er wird mehr Männer schicken, und
ich werde auch sie töten, bis ich so viele ausgeschaltet habe, dass Roth nichts
anderes mehr übrig bleibt, als mir selbst gegenüberzutreten. Das ist es, was
ich erreichen will.
Wie, ist mir egal.“
Claire schauderte innerlich beim Gedanken an so
viel Gewalt und Tod. Auch sie hatte jetzt drängende Fragen an Wilhelm, und sie
würde nicht tatenlos herumstehen und abwarten, bis es zu noch mehr
Blutvergießen und Feuer kam. Sie ging an Andreas vorbei auf die Straße zu, die
vom Anwesen wegführte.
„Claire“, rief er ihr nach, doch sie ging
einfach weiter, bewegte sich mit neuer Entschlossenheit. Aus der Dunkelheit
folgte ihr Andreas' tiefe Stimme.
„Claire... wo zur Hölle willst du hin?“
Sie blieb stehen, drehte sich zu ihm um und
warf ihm einen matten Blick zu. „Du sagst, du willst Wilhelm aufspüren und dich
an ihm rächen. Und ich will, dass er mir jetzt die Wahrheit sagt. Er führt
seine Geschäfte vor allem von einem privaten Büro in der Stadt aus. Wenn wir
dorthin gehen, finden wir vielleicht beide die Antworten, die wir suchen.“
8
Reichen war sich nicht sicher, was schlimmer
war: der hartnäckige Schmerz seiner Schusswunde oder das Zucken seiner
Eingeweide, weil er dringend Nahrung brauchte. Eine Sache würde beide Probleme
lösen.
Blut.
Er spürte, wie ein Knurren sich den Weg durch
seine ausgedörrte Kehle bahnte, als ihm aus allernächster Nähe die Gerüche von
Dutzenden von Menschen in die Nase stiegen, zusammengepfercht in einem engen
Abteil im Zug nach Harnburg. Die Versuchung, aufzusehen und sich eine passende
Beute auszuwählen - der Drang, seinen brennenden Durst zu stillen - ,
überwältigte ihn fast.
„Kopf runter“, flüsterte Claire ihm zu, ihr
Atem strich warm an seinem Ohr vorbei. „Und deine Augen auch, Andre.“
Schlimm genug, dass er verletzt war und blutete
und dass er und Claire wie Schornsteinfeger rochen.
Es war nicht ratsam, einen der Passagiere, die
mit ihnen im Abteil saßen, einen Blick auf seine transformierten Augen oder
sein ungewöhnliches Gebiss erhaschen zu lassen.
Wenigstens hatte seine Wut sich abgekühlt.
Er und Claire waren etwa eine Stunde zu Fuß
unterwegs gewesen, bevor der Schein seiner Pyrokinese erloschen war. Es war
ihnen nichts
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