Midnight Breed 06 - Gesandte des Zwielichts-neu-ok-16.11.11
wirst du tun, wenn sich herausstellt, dass
sie wahr sind?“
Sie sagte nichts, als er zu ihr herüberkam,
wich nur ein paar Schritte zurück, um ihm Zugang zu dem Computer und der
Handvoll Visitenkarten und Quittungen aus der Schublade zu geben, die sie auf
dem Tisch ausgeleert hatte. Reichen rief Roths EMail - Programm auf und begann,
seine Unterlagen durchzusehen - wonach er suchte, wusste er selbst nicht so
genau.
Hinweise auf Roths Aktivitäten, seine Kontakte.
Spuren, wo er sich derzeit befand. Irgendwas.
Was er vor allem tun musste, war, sich darauf
zu konzentrieren, warum er hier war, statt auf das überdeutliche Bewusstsein
der körperlichen Nähe Claires - eine Wärme und Präsenz, die ihm bis ins Mark
gingen. Er musste sich so anstrengen, seine instinktive Reaktion auf sie
auszublenden, dass er das Durcheinander von Visitenkarten auf Roths
Schreibtisch dreimal durchsah, bevor sein Blick auf das Kärtchen aus silbernem
Pergament mit eleganter, schlichter schwarzer Schrift fiel.
Er fischte es aus der Sammlung und las, was
darauf stand, obwohl er den Namen und die Adresse auswendig kannte. Auch wenn
es ihn eigentlich nicht überraschte, diese Karte unter Roths Habseligkeiten zu
finden, gefror ihm das Blut in den Adern.
„Was hast du gefunden?“, fragte Claire, die
seine plötzliche Anspannung spürte. Sie kam näher, spähte um ihn herum auf das
durchscheinende Kärtchen in seiner Hand.
„Aphrodite. Was ist das?“
„Ein Club in Berlin“, erwiderte Reichen. „Ein
exklusives, sehr teures Bordell.“
Er warf Claire einen Blick zu, gerade noch
rechtzeitig, um zu sehen, wie ihre Neugier einem stummen Unbehagen wich.
„Wilhelm hat es nie an willigen Partnerinnen gefehlt. Es wäre unter seiner
Würde, dafür zu bezahlen. Dass er diese Karte hat, hat nichts zu bedeuten.“
„Es bedeutet, dass er dort war“, sagte Reichen.
„Um das zu beweisen, brauche ich diesen Papierfetzen nicht. Die Besitzerin von
Aphrodite und ich waren... befreundet. Ich habe Helene bedingungslos vertraut.“
Claire sah einen Augenblick zur Seite. „Ich
habe vor einer Weile gehört, dass du mit einer Sterblichen zusammen warst.
Einer von vielen, wie man hört.“
Er ließ die Bemerkung unerwidert, war aber
überrascht zu hören, dass sie über sein Privatleben auf dem Laufenden war.
Und ja, über die Jahre hatte es viele Frauen in
seinem Leben gegeben, eine lange Reihe unbedeutender, schnell vergessener
Affären, auf die er nicht stolz war, schon damals und auch jetzt nicht.
Besonders jetzt nicht.
Aber Helene hatte er mehr respektiert als all
die anderen Frauen, die er sich in sein Bett oder unter seine Fänge geholt
hatte. Sie war eine enge Vertraute für ihn geworden, obwohl selbst sie nichts
von seiner dunkleren, tödlichen Seite geahnt hatte, die er so mühsam
unterdrückt hatte.
„Helene war ein guter Mensch. Sie wusste über
mich Bescheid, und mein Geheimnis war bei ihr sicher. Sie hat mich auch über
die Geschehnisse in ihrem Club auf dem Laufenden gehalten. Vor einer Weile
sagte sie mir, dass eine ihrer Angestellten eine Affäre mit einem wohlhabenden,
einflussreichen Mann angefangen hatte. Diese Angestellte erschien öfters mit
Bisswunden am Hals bei der Arbeit und wenig später verschwand sie spurlos. Ich
habe Helene gebeten, mehr darüber herauszufinden, und sie stieß auf einen
Namen: Wilhelm Roth.“
Claire runzelte die Stirn. „Nur weil dieses
Mädchen vielleicht manchmal mit ihm zusammen war, heißt das noch nicht, dass er
sie getötet hat.“
„Dabei hat er es nicht belassen“, sagte Reichen
mit angespannter Stimme. „Als ich in einer anderen Angelegenheit verreist war,
tauchte Helene in meinem Dunklen Hafen auf. Jemand ließ sie herein, weil er
nicht erkannte, dass es ein Hinterhalt war.
Helene war zu einer Lakaiin gemacht worden. Ihr
Meister hat sie mit einer Einheit von bewaffneten Killern zu meinem Zuhause
geschickt - einer Todesschwadron der Agentur. Sie haben alle umgebracht,
kaltblütig erschossen, Claire. Sogar die Kinder.“
Bestürzt starrte sie ihn an, schüttelte langsam
den Kopf. „Nein, es war eine Explosion. Ein schreckliches Feuer...“
„Ja, es gab ein Feuer.“ Reichen nahm sie an den
Armen, als seine Wut bei der Erinnerung wieder aufzuflackern begann. „Ich habe
das Haus in Brand gesteckt, aber erst, als ich nach Hause kam und das Gemetzel
vorfand. Und Helene erwartete mich schon, über und über bespritzt vom Blut
meiner Verwandten. Sie hat mir gesagt, wer sie gemacht
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