Midnight Fever: Verhängnisvolle Nähe (German Edition)
einer Frau lieber zuhörte, als sie zu vögeln. Im Augenblick zumindest. Der Sex war definitiv nur aufgeschoben.
Erstaunlich.
Aber im Grunde doch nicht, denn Claire hatte mehr zu bieten als ein makelloses Gesicht und einen anziehenden Körper mit langen Beinen und weichen Lippen. Sie war freundlich, heiter und wahrscheinlich gebildeter als er. Auf jeden Fall belesener, eingedenk der Bücherwand im Wohnzimmer. Die war vielleicht aber auch berufsbedingt; schließlich war sie Bibliothekarin.
Zum Glück schüchterte ihn so was nicht ein. Bücherwissen ersetzte keine Lebenserfahrung. Die gewann man nur draußen auf der Straße. Und da kannte er sich wahrhaftig aus.
»Die Rothaarige ist Allegra«, antwortete Claire. »Die Blonde ist Suzanne. Allegra stammt aus Irland. Ihr Vater war ein bekannter Musikwissenschaftler aus Dublin, der hierher auswanderte, um am Reed College zu lehren, als sie sieben war. Sie hat diesen charmanten irischen Akzent. Und das zweite Gesicht, behauptet sie jedenfalls.« Claire biss sich auf die Lippe. »Aber das hat sie im entscheidenden Augenblick im Stich gelassen. Sie hat es nicht kommen sehen.«
Bud zog die Brauen zusammen. »Was?«
»Die Tragödie. Niemand hat damit gerechnet, wirklich. Wir haben uns alle so für sie gefreut. Ihre Karriere kam gerade richtig in Gang – sie war zwei Jahre im Voraus ausgebucht. Ihre drei CD s verkauften sich stetig. Du hörst gerade eine davon. ›Seasons‹ heißt sie. Die gefällt mir am besten.«
Das verstand er sofort. Diese zarten, sanften Töne, die in kristalliner Perfektion in der Luft hingen, waren von magischer Schönheit. Wie aus einer anderen Welt. Oder aus dem Himmel. »Du redest in der Vergangenheit. Was ist passiert? Tritt sie nicht mehr auf?«
»Ja.« Claires Augen wurden plötzlich feucht, das Gesicht ernst. »Gezwungenermaßen, könnte man sagen. Als sie gerade anfing, berühmt zu werden, zog sie sich einen der besten Manager im Musikgeschäft an Land. Sie war so aufgeregt deswegen. Einer der ganz großen Namen der Branche. Er hatte in den Achtzigern etliche Hits produziert. Eigentlich hatte er sich aus dem Geschäft zurückgezogen, sagte aber, dass er für sie noch einmal einsteigen würde. Erst später, als es schon zu spät war, stellte sich heraus, dass er nichts mehr taugte, dass er durch Alkoholismus und ständige Wutausbrüche seine beruflichen Kontakte längst verloren hatte. Er war bekannt für seine wilden Ausraster, zertrümmerte Hotelzimmer, war ständig betrunken, beleidigte einflussreiche Persönlichkeiten, und irgendwann war es zu viel. Allegra war völlig ahnungslos, als sie bei ihm unterschrieb. Sie stand vor einer glänzenden Karriere, die er sehr schnell ruiniert hatte. Und dann hatte sie … einen Unfall.«
»Einen Unfall?« Bud maß ab und zeichnete an. »Ist sie wieder auf die Beine gekommen?«
Claire biss sich mit gequältem Blick auf die Lippe. »Nein, eigentlich nicht. Eigentlich war es auch kein Unfall. Sie wurde angegriffen. So schlimm geschlagen, dass ihr Sehnerv beschädigt wurde. Sie ist jetzt blind.«
Bud hielt inne. Langsam legte er den Hammer hin und drehte sich zu Claire um. Als sie seinen Gesichtsausdruck sah, riss sie die Augen auf.
»Bud?«
»Wer hat sie geschlagen? Hat man den Kerl geschnappt?« Er klang gepresst.
»Geschnappt?« Claire schluckte mühsam. »Du meinst … Ja. Es war ihr Manager. Er ist auf sie losgegangen. Ich kann überhaupt nicht begreifen, wie ihr jemand etwas antun kann. Allegra ist – ich weiß nicht, wie ich sie beschreiben soll – ein wunderbarer Mensch, warmherzig und lustig. Jedenfalls war sie das mal. Jetzt ist sie ängstlich und wirkt verloren. Dabei ist sie eine echte Künstlerin. Überirdisch. Sie brauchte jemand Durchsetzungsfähigen an ihrer Seite, um ihre Karriere zu managen, und glaubte, ihn gefunden zu haben. Aber er drängte sie, mit ihm ins Bett zu gehen, und sie wollte das nicht. Und dann benahm er sich plötzlich ganz anders.«
»Ja, das kann ich mir vorstellen«, sagte Bud grimmig und wartete gespannt auf mehr. Er hatte keine Ahnung vom Bibliothekswesen oder von Harfenmusik, aber über solche Kerle wusste er Bescheid. Menschen, die sich plötzlich anders benahmen und gewalttätig wurden, waren sein Beruf. Mit solchen hatte er immer wieder zu tun gehabt: Die Frau ließ sich nicht mehr beeinflussen, und der Mann drehte durch. Er wusste, wie diese Geschichten endeten, aber er wollte es von Claire selbst hören. »Sprich weiter.«
»Sie sagt, er wurde
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