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Mieses Karma

Titel: Mieses Karma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Safier
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weggeblasen. Seine Fühler senkten sich traurig.
     Er schien tatsächlich Casanova zu sein.
    «Leben Sie schon die ganze Zeit als Ameise?», fragte ich mitfühlend.
    «Ja, immer wieder», antwortete er und richtete tapfer seine Fühler auf, «schon in meinem hundertundfünfzehnten Leben.» Die
     emotionale Leere, die in diesem Satz hallte, vermochte sein galanter Tonfall nicht zu verdecken.
    Hundertundfünfzehn Leben. Was für ein schreckliches Schicksal. Der arme Mann war in einer Endlosschleife gefangen.
    Und ich auch – schoss es mir durch den Kopf.
    Ich setzte mich hin und ließ nun meinerseits die Fühler hängen. Das weckte Casanovas Kavaliersinstinkt. Tröstend legte er
     mir ein Bein auf den Kopf und streichelte mich sanft: «Madame, verzweifeln Sie nicht an Ihrem Schicksal.»
    Dabei kam er mir nahe. Zu nahe.
    |80| «Hey, fassen die da gerade meine Sexualdrüse an?», fragte ich entsetzt.
    «Verzeihen Sie mein forsches Begehr», sagte er und zog sein Hinterbein wieder zurück.
    «Ich nötige mich nie einer Frau auf», fuhr Casanova fort. 7
    Ich blickte ihm in die Augen und sah, dass ich ihn in seinem Stolz verletzt hatte.
    Ich atmete durch und fragte: «Können Sie mir helfen?»
    «Stets zu Diensten», lächelte er.
    «Haben Sie eine Ahnung, wie man als Ameise das Leben der Menschen beeinflussen kann?», stellte ich die alles entscheidende
     Frage.
    Casanova schwieg kurz. Dann sagte er aufmunternd: «Was immer auch Ihre Notlage ist, Madame, wir werden schon eine Lösung finden.»
    Das war eine Antwort, die nur eine nettere Version von «Ich hab keinen blassen Schimmer» war.
    Ich war umsonst hergekommen.
    «Was wollen Sie denn bei den Menschen tun?», fragte Casanova.
    Ich überlegte, wie ich ihm das Problem mit Nina schildern konnte, aber fand nicht die richtigen Worte.
    «Sie müssen mir nichts erklären», sagte er, «wir können hier jederzeit ausbrechen und zu den Menschen gelangen.»
    «Wie sollen wir denn an den Wachen vorbeikommen?», fragte ich.
    Darauf erklärte Casanova, dass er schon aus einem viel besser bewachten Gefängnis ausgebrochen sei: den dunklen Bleikammern
     von Venedig. Damals, 1756.
    |81| «Warum sind Sie denn verhaftet worden?», fragte ich.
    «Es handelte sich um einen ganz banalen Justizirrtum. Man sagte mir eine lose Moral nach.» 8
    Casanova grinste augenzwinkernd, und ich muss zugeben, für eine Ameise konnte er wahnsinnig charmant lächeln.
    «Wenn wir jederzeit hier ausbrechen könnten», fragte ich, «warum haben Sie es dann bisher nicht getan?»
    «Ich hatte keinen Anreiz.»
    «Keinen Anreiz? Die Königin will Sie hinrichten lassen!»
    «Dann werde ich eben erneut als Ameise wiedergeboren.»
    «Auch wieder wahr», erkannte ich und überlegte mir, ob ich nicht einfach auch meine Hinrichtung abwarten sollte. Dann würde
     ich zwar als Ameise wiedergeboren, wäre aber aus dem Gefängnis draußen und könnte zu Lilly.
    Ich war überrascht, dass eine Hinrichtung für mich auf einmal nicht mehr Schrecken bedeutete als ein Gang zum Zahnarzt.
    «Wann werden wir denn getötet?», fragte ich.
    «Die Königin wird warten, bis ihr Fruchtbarkeitszyklus vorbei ist.»
    «Und wann wird das sein?»
    «In ein paar Wochen.»
    «So lange habe ich nicht Zeit», rief ich.
    «Dann sollten wir uns bemühen, aus diesem Verlies zu fliehen», sagte Casanova, sichtlich von Abenteuergeist beseelt.
    «Und wie?»
    «So wie ich einst, bei meinem ersten Versuch, den grässlichen |82| Bleikammern zu entfliehen», erklärte er, «mit einem Tunnel.»
     
    Casanova und ich begannen, einen Tunnel zu graben, von dem wir nicht wussten, wohin er führte. Casanova kommentierte das durchaus
     zutreffend: «Überall ist es besser als in einem Gefängnis.»
    Die Priesterinnen, die oben am Eingang zum Verlies standen, sahen uns nicht. Wir gruben in ihrem toten Winkel und gingen extrem
     leise vor. Flüsternd fragte ich Casanova, welche Religion die Priesterinnen hatten.
    Casanova lächelte: «Die Göttin hier ist die Königin. Niemand sonst. Wie bei den alten Pharaonen.»
    Während ich noch darüber nachdachte, dass in dieser Religion nur die Gottheit wahre Erfüllung finden konnte, rief Casanova:
     «Das Erdreich wird lockerer, wir haben gleich den Durchbr   …»
    Wir fielen beide durch das Loch. Genau auf die Königin, die sich im Liebesspiel mit einigen männlichen Flugameisen befand.
    Die Queen war not amused.
     
    6
    Aus Casanovas Erinnerungen: Meinen Verstand entzückte und berückte nur ein einziger

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