Mieses Karma
erfreut über diesen Lichtblick in düsterer Lage.
«Wie wunderbar, wir sind keine Ameisen mehr!», jubilierte der Signore und drückte sich so sehr an mich, dass ich mich nach
einem Sauerstoffzelt sehnte.
«Das mit dem guten Karma hat sich gelohnt», plapperte er weiter. «Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie entzückt ich bin, wieder
ein Säugetier zu sein! Und wissen Sie, Madame, worauf ich mich am meisten freue?»
«Nein, nicht wirklich.»
«Auf die Freuden des Fleisches.»
«‹Die Freuden des Fleisches›?», fragte ich irritiert.
«Als Ameise war der Liebesakt mit der Königin für mich ein höllischer Gräuel», erklärte Casanova, «aber jetzt bin ich ein
männliches Meerschweinchen. Und, verzeihen Sie mir die profane Ausdrucksweise, die Meerschweinchen ram …»
|128| «… ich will das ‹meln› gar nicht hören», sagte ich schroff, gehörte ich doch zu den potenziellen Partnerinnen.
Und es gab viel dringlichere Probleme als Casanovas Libido.
«Wir sind in einem Tierversuchslabor!», erklärte ich ihm.
«Was ist das?», fragte eine zarte Stimme hinter uns. Wir drehten uns um und blickten in die verängstigten Gesichter unserer
drei Geschwister – auch ihre Stimmbänder waren jetzt ausgebildet.
«Das kann ich auch nicht erklären», antwortete Casanova dem skeptisch dreinblickenden braunen Meerschweinchen, das die Frage
gestellt hatte.
«Und was ist ‹Liebesakt›?», fragte ein zweites – süßes, weibliches – fast ganz weißes Meerschweinchen.
«Das wiederum kann ich Ihnen ganz genau erklären, Mademoiselle», begann Casanova schwungvoll.
«Was heißt ‹Mademoiselle›?», unterbrach das dritte – sehr dicke – rötlich braune Meerschweinchen.
«Eine nicht verheiratete Frau nennt man …», setzte Casanova an.
«Was ist ‹verheiratet›?», unterbrach das weibliche Meerschweinchen.
«Menschen …», sagte Casanova.
«Was sind ‹Men …›»
«Mon Dieu, könnt ihr mich mal ausreden lassen!», schimpfte Casanova, und die Meerschweinchen hielten eingeschüchtert den Mund.
Casanova versuchte nun tapfer, das Thema Liebe in all seinen Facetten zu erläutern, vergeblich. Es waren eben noch Kinder.
«Lasst uns über Männlein und Weiblein reden, wenn ihr etwas größer seid», brach ich das Ganze ab, und die kleinen Meerschweinchen
nickten sehr einverstanden. Casanovas etwas |129| zu detaillierte Erläuterungen des Geschlechtsaktes hatten sie doch irritiert.
«Aber was bedeutet nun ‹Tierversuch›?», insistierte das skeptische Meerschweinchen, das wohl spürte, dass Gefahr im Verzug
war.
Ich setzte an: «Die Wallalalala machen mit uns unangenehme Dinge und …»
Doch das reichte schon für eine Panik.
«Mama!», schrien die Kleinen. «Wir wollen zu Mama!»
Ich beschloss, die Erklärung abzubrechen.
«Was für Dinge?», wollte nun aber Casanova wissen.
Bevor ich etwas erwidern konnte, betrat Alex das Büro. Sicherlich wollte er uns für seine Experimente abholen. Ich fing an,
wie wild zu schreien: «Ich bin’s, deine Frau! Hol mich hier sofort heraus! Ich will nicht an irgendwelche Elektroden angeschlossen
werden, bis ich nichts anderes mehr tun kann als ‹Lalalala Bamba› lallen!»
Die anderen Meerschweinchen – bis auf den besonnenen Casanova – krakeelten panisch mit, auch wenn sie weder Elektroden noch
«La Bamba» kannten.
Doch Alex sagte mit beruhigender Stimme: «Ihr müsst euch nicht aufregen. Wir machen nur ein bisschen Verhaltensforschung.»
Verhaltensforschung? Nicht aufregen? Das hörte sich schon deutlich besser an. Immer noch nicht gut. Besser gesagt, immer noch
ziemlich mistig. Aber deutlich besser als Elektroden.
In diesem Augenblick betrat Bodo, Alex’ Kumpel aus Studientagen, das Büro. Er war Mitte dreißig und Single. Und das lag nicht
nur daran, dass er klein war und verschlagen aussah. Es lag auch daran, dass es wesentlich bessere Aufreißersprüche gibt als
«Ich verdien mein Geld mit Tierversuchen».
|130| Alex und er hätten sich wohl nie kennengelernt, wenn ihr Professor sie nicht im Studium in einem Forschungsprojekt zusammengespannt
hätte. Und da Alex stets das Gute in den Menschen sah, hielt er ihm seitdem die Treue: «Bodo ist nicht halb so ein übler Kerl,
wie du denkst.»
«Herzlich willkommen im neuen Job», sagte Bodo lachend.
Alex nickte stumm. Er fühlte sich sichtlich wahnsinnig unwohl, dass er diesen Job überhaupt hatte annehmen müssen. Und ich
fühlte mich noch
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